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Wolfsfeder

Wolfsfeder

Titel: Wolfsfeder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Oehlschläger
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nicht erwartet, in
Deutschland so viel Grün zu sehen. Nach ihren Erfahrungen in Spanien, wo sie
trotz des Regens rund um Madrid nur karges, wenig bewachsenes Land gesehen
hatte, überraschte sie die üppige Vegetation umso mehr.
    Kaum hatte der Zug Frankfurt und seine
Randbereiche hinter sich gelassen, sauste der ICE mit atemberaubendem Tempo durch grüne Wiesen und Felder. Obwohl der Herbst
schon angebrochen war, standen noch viele Kühe auf den Weiden. Auf den Äckern
wuchsen Raps, Senf und Phacelia.
    Und dann diese Wälder. So etwas kannte sie
von daheim nicht. Turmhohe Laubbäume mit gewaltigen Kronen bedeckten dicht an
dicht ganze Höhenzüge. Das Laub begann sich zu verfärben, Myriaden bunter
Blätter schillerten in allen möglichen Nuancen in der Morgensonne. Zu Hause gab
es neben einigen wenigen Relikten des tropischen Regenwaldes überwiegend
lückige Kiefernbestände und dornige Trockenwälder.
    Sie gähnte herzhaft.
    Nun rächte es sich, dass sie in der
vergangenen Nacht kaum geschlafen hatte.
    Bevor sie einschlief, bemerkte sie noch,
wie angenehm sanft, fast erschütterungsfrei und leise der ICE dahinglitt. Sie fuhr zum ersten Mal
in ihrem Leben mit der Eisenbahn. Und dann gleich eine Reise in diesem
futuristisch anmutenden, schneeweißen Hochgeschwindigkeitszug, einem Wunder der
Technik. Daheim in der Dominikanischen Republik existierte nur eine einzige
Eisenbahnlinie, eine Güterzugtrasse, auf der Zuckerrohr und andere Feldfrüchte
zum Hafen von La Romana transportiert wurden.
    Sie schlief tief und fest. Dieses Mal
blieben ihr Alpträume glücklicherweise erspart.
    * * *
    Es war kurz vor zehn. Mendelski
stieg gerade aus seinem Auto, das er auf dem Parkplatz in der Jägerstraße
abgestellt hatte, als Maike Schnur in ihrem Renault Clio neben ihm zum Stehen
kam. Samstags war der Parkplatz der Polizeiinspektion meist gähnend leer. Einer
der wenigen Vorzüge des Wochenenddienstes, wie Mendelski befand.
    »Einen schönen guten Morgen«, sagte er gut
gelaunt, während er darauf wartete, dass sie ihren Wagen verriegelte. »Ich
hoffe, dass du trotz des späten Feierabends gestern noch eine angenehme Nacht
hattest.«
    Er wusste genau, warum sie
Wochenenddienste hasste: Weil sie freitags und samstags gern ausging, gern bis
tief in die Nacht auf Achse war und am nächsten Morgen gern lange schlief.
    Sie winkte müde und gähnte wortlos.
    »Morgenstund’ hat Gold im Mund«, trällerte
er. »Na, dann wollen wir mal. Die anderen sind sicher auch schon da.«
    Maike folgte ihm mit schleppenden
Schritten. »Was hast du denn da Schönes?«, fragte sie spitz und zeigte auf den
zusammengerollten Karton unter seinem Arm. »Sieht ja aus wie eine altägyptische
Tempeltapete … jede Menge Hieroglyphen.«
    »Dieses Kalenderblatt enthält die
geistigen Ergüsse meiner morgendlichen Ermittlungsarbeit«, verkündete
Mendelski. »Bin schon eine Weile auf den Beinen.«
    »Hattest mal wieder Kopfweh?«, erriet sie
richtig. »Du Armer.«
    Sie hatten gerade die Stufen zum
Hauptportal erreicht, als Mendelskis Handy klingelte. Sie blieben stehen.
    »Hältst du bitte mal eben?«, sagte er zu
Maike und reichte ihr die Kartonrolle. Kurz darauf hielt er das Mobiltelefon
ans Ohr.
    »Bitte was?« Er lauschte andächtig zwei,
drei Minuten, dann sagte er: »Okay. Sind schon unterwegs. – Nein, Maike
und ich übernehmen das, ihr macht die Besprechung besser ohne uns.«
    Wenige Minuten später rasten sie
im Dienstwagen über die Hannoversche Straße in Richtung Innenstadt.
    Erst jetzt berichtete Mendelski seiner
Kollegin von den Hintergründen ihrer Einsatzfahrt: Rolf Wiegand aus Eschede,
der Gärtner der Kreinbrinks, war nach einem Selbstmordversuch mit mehrfachen
Beinbrüchen in das Allgemeine Krankenhaus in Celle eingeliefert worden.
    »Er ist was? Von der Eisenbahnbrücke
gesprungen?«, fragte sie entsetzt. »Vor einen fahrenden Zug?«
    »Scheint so.«
    Mendelski stützte sich am Armaturenbrett
ab, da die Ampel vor ihnen auf Rot gesprungen war und Maike abbremsen musste.
    »Und das hat er überlebt?«
    »Ja, wohl mit viel Dusel. Scheinbar ist er
voller Panik auf das falsche Gleis oder schlicht daneben gesprungen.«
    »Wieso macht der denn so was?«
    »Kai Kreinbrink und Finn Braukmann waren
anscheinend hinter ihm her.«
    Maike pfiff durch die Zähne. »Was wollten
die denn von ihm, dass er vor ‘nen Zug springt?«
    Mendelski erzählte ihr von Kleinschmidts
Anruf am frühen Morgen. Wiegand, so schien es, hatte am gestrigen Abend

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