Wolfsfeuer (German Edition)
Unterholz preschte, füllte sich die Luft mit dem frischen Duft der Kiefern. Er würde ein ernstes Wörtchen mit ihr über Stille und Heimlichkeit reden müssen. Vielleicht morgen, wenn sie wieder sprechen konnten.
Alex, deren Schnauze dicht am Boden gewesen war, während sie seinem Duft folgte, entdeckte ihn und blieb stehen. Sie bleckte die Lippen; ein Knurren ertönte.
Obwohl Werwölfe die Fähigkeit besaßen, wie Menschen zu denken, zu überlegen, zu planen, obwohl sie schneller und stärker waren und nur durch eine Silberkugel getötet werden konnten, waren sie in Wolfsgestalt vor allen Dingen Wölfe. Zu sprechen überstieg ihre Möglichkeiten.
Dennoch konnten sie sich verständigen. Alex’ Knurren besagte, dass sie ihn am liebsten umgebracht hätte.
Julian fletschte die Zähne und knurrte zurück. Das Gefühl beruhte auf Gegenseitigkeit.
In Wahrheit kamen Morde zwischen Werwölfen selten vor. Man hatte es ihm als ein in das Virus eingebautes Sicherungssystem erklärt. Werwölfe waren selbstsüchtig und bösartig, manche zudem nicht ganz bei Verstand. Darum würde bei einem Aufeinandertreffen zweier Werwölfe ein Kampf auf Leben und Tod entbrennen. Was ihre Zahl rasant dezimieren würde.
Julian und seine Wölfe waren anders. Auch sie mutierten durch das Virus zu Werwölfen, aber sie waren nicht böse. Sie töteten nicht aus Mordlust. Nach dem ersten Mal töteten sie so gut wie gar nicht mehr – vor allem nicht sich gegenseitig.
Aber sie könnten es.
Plötzlich legte Alex den Kopf schräg; ihr Schweif stellte sich kerzengerade auf, sie hob die Schnauze, und eine leichte Brise zauste ihr Fell. Sie zuckte zusammen, dann war sie verschwunden und jagte mit einem Tempo durch die Bäume, wie nur ein Werwolf es liebte. Sollte sie in dem dichten Unterholz ein einziges Mal die falsche Route wählen, würde sie mit dem Kopf gegen einen Baumstamm krachen und sich das Genick brechen.
Dumm nur, dass sie davon nicht sterben würde.
Sie raste davon, und Julian fauchte verärgert. Trat sie absichtlich auf jeden herumliegenden Ast?
Er folgte ihr, wenn auch in gemäßigterem Tempo. Julian hatte sich schon einmal die Schnauze an einem Baum angeschlagen und legte keinen Wert auf eine Wiederholung.
Er fand sie auf einer mondbeschienenen Lichtung, wo sie mit zurückgelegtem Kopf und geöffnetem Mund versuchte, die dicken Schneeflocken aufzufangen, die gerade zu fallen begannen.
Eine Sekunde lang wollte er zu ihr springen, sie zu Boden ringen und nach Art der Wölfe mit ihr raufen. Er wollte rennen und spielen, mit ihr jagen und dann später …
Sie als Wolf besteigen, anschließend noch einmal als Mann. Fell an Fell. Haut an Haut. Sein Atem und ihrer, schnell und keuchend. Das schlüpfrige Hineingleiten, die einladende Hitze. Sie würde eng sein, noch enger werden, wenn sie sich um ihn verkrampfte und er …
Julian jaulte überrascht angesichts der Visionen, die durch seinen Kopf drifteten. Auch Alex entrang sich ein verwirrtes Jaulen, dann sah sie ihn über ihre Schulter hinweg an und fletschte die Zähne.
Könnten Wölfe lachen, dann hätte Julian es getan. Auch wenn er Alex nicht verabscheuen würde, verabscheute sie ihn hundertprozentig. Er konnte darüber fantasieren, sie zu ficken, solange er wollte, es würde niemals passieren.
Alex war völlig hingerissen. Durch die Augen eines Wolfs betrachtet, bekam die Welt eine vollkommen neue Dimension. Düfte hüllten sie ein und übermittelten ihr Informationen – ein Hase dort vorn, eine Maus hier drüben, ein Elch, der vor nicht allzu langer Zeit des Weges gekommen war.
Der Schnee trommelte wie Regentropfen auf den Boden und auf ihren Körper – er klang viel lauter, als Schnee klingen sollte. Die Nacht war silbern und blau, unglaublich schön, ein schattiges Land, das nur für sie existierte.
Dann tauchte Barlow auf und machte alles kaputt.
Sie starrte zum Mond hinauf und überwand das bizarre Verlangen, ihn anzuheulen, als sie Barlow hinter sich jaulen hörte. Sie wäre vor Schreck fast aus dem Fell gefahren. Sie hatte ihn nicht kommen hören. Er bewegte sich als Wolf ebenso lautlos wie als Mensch.
Ihr dagegen fiel es schwer, sich leise zu verhalten; zudem war sie inzwischen so hungrig, dass sie sich fragte, wie Barlow wohl roh schmecken würde.
Sie blickte über ihre Schulter und erkannte eine ähnliche Regung in Barlows allzu menschlichen Augen. Auch er stellte sich gerade vor, wie sie schmecken würde. Nur in völlig anderer Hinsicht.
Er kam auf sie zu,
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