Wolfsfieber - Band 2
einfach so. Jetzt wünschte ich mir verzweifelt, dass er etwas mehr anhätte. Ich atmete angespannt aus. „Ich muss dich jetzt küssen“, warnte ich ihn vor, bevor ich näher kam. Er zögerte, hielt mich an den Schultern fest.
„Ob das eine gute Idee ist“, gab er zu bedenken und deute auf seine krampfenden Muskeln. Wir hatten nur noch Minuten, bevor er sich auf den Boden werfen und seinen Körper mit dem eines Wolfes vertauschen würde. Dennoch sagte ich: „Du kannst mir nicht sagen, dass du mich liebst, und mir dann nicht erlauben, dich zu küssen. Das wäre grausam, Istvan.“ Ich meinte es ernst.
Vorsichtig, als wäre er plötzlich zu Glas geworden, beugte ich mich erneut über sein Gesicht. Kurz bevor ich ihn erreichte, strich ich noch einmal über meine Lippen, nur um sicherzugehen, ob ich nicht irgendeinen Riss auf den Lippen hatte, denn schon der könnte womöglich eine Verwandlung auslösen. Istvan bewegte sich keinen Millimeter, verfolgte die Spur -meiner Finger auf meinen Lippen. Ich sah ihm an, wie schwer es ihm fiel, mich nicht berühren zu können. Also erlöste ich uns beide, indem ich meine Lippen vorsichtig und sanft auf seine senkte. Er keuchte ganz leise, als mich sein Mund beinahe verbrannte. Ganz leicht nur schob ich meine Lippen zwischen seine und erlaubte mir dieses Gefühl zu genießen, bevor ich mich sehnsüchtig nach mehr von ihm löste. Kaum saß ich wieder aufrecht, zuckte er zusammen. Die Verwandlung, sie kam jetzt. Endgültig. Ich fuhr zurück, als er vom Bett fiel und er sich vom Mann zum Wolf wandelte. Als der Sandwolf vor mir stand, presste er seine Stirn gegen mein Schienbein, bevor er so lange winselte, bis ich ihm die Tür öffnete.
Die ganze Nacht über streiften die Wölfe, meine Wölfe, um die Jagdvilla. Nur ab und an ließen sie ein Heulen hören, das sich im Rausch des Regens verlor. Ich schlief wie eine Tote. Einer der Valentinwölfe blieb immer bei mir im Haus. Sie wechselten sich etwa alle drei Stunden ab. Und wenn Istvan an der Reihe war, spürte ich es, auch wenn ich bereits schlief. Den ganzen Vollmondzyklus lang ging das so. Farkas oder sein Rudel ließ sich wie erwartet nicht sehen. Doch, abgesehen von kurzen Unterbrechungen, änderte sich das Wetter auch nach den Vollmondnächten nicht. Es war eines der schlimmsten Unwetter, die wir je hatten. Ein paar Kilometer weiter war es derart heftig, dass ein paar Orte komplett überflutet waren. Wir blieben zwar vom Schlimmsten verschont, aber im Gegensatz zu allen anderen, wünschte ich kein Ende des Regens herbei. Denn in meinem Fall bedeutet das Ende des Regens das Ende der trügerischen Ruhe. Sobald der letzte Tropfen gefallen war, würde alles von vorne losgehen. Farkas hatte Istvans Geburtshaus abgefackelt. Daraufhin hatten wir ihm eine Falle gestellt. Jetzt war er wieder am Zug. Mir graute davor, was er als Nächstes tun würde. Aber eines war mir klar, selbst jetzt, wo Istvan seine Arme um mich gelegt meinen Nacken küsste, spürte ich es ganz deutlich. Die Uhr tickte. Wie lange wir es auch hinauszogen, wir standen kurz vor dem Sturm. Einem Sturm, der uns entweder von dem Bösen befreien oder in dem wir davongefegt würden. Ich zog Istvans Arme noch fester um mich und versuchte mich ganz auf seine Wärme zu konzentrieren. Aber dennoch hörte ich sie. Die Uhr. Sie tickte. Tickte. Tickte. Tick … tack … tick … tack …
27. Licht und Schatten
Ein breiter Sonnenstrahl überflutete die Küche, nicht zu übersehen, selbst für Anfang September. Jeder andere würde ihn mit offenen Armen empfangen. Ich wünschte ihn zur Hölle, weil er nur eines bedeuten konnte: Dass wir jetzt ohne weitere Verzögerung das Zeltlager im Wald aufschlagen würden, direkt beim Tunnelzugang, um diesen strategischen Vorteil für Farkas nutzlos zu machen. Kurz gesagt, es wurde ernst. Und alleine die Vorstellung jagte mir blanke Angst ein. Ich stand noch immer am Küchenfenster in der breiten Lichtschneise, zusammen mit Abertausenden von Staubpartikeln, die um mich herumwirbelten, während hinter mir hektischer Betrieb herrschte. Taschen wurden gepackt, Vorräte zusammengetragen, Zelte verschnürt und andere Dinge wurden so an mir vorbeigeschmuggelt, dass ich sie nicht allzu lange ausspionieren konnte. Normalerweise hätte ich mich dieser umtriebigen Hast angeschlossen, um nicht nachdenken zu müssen. Aber etwas hielt mich hier fest, ließ nicht zu, dass ich mich daran beteiligte, einen Kampf vorzubereiten, der Istvans Leben
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