Wolfsfieber - Handeland, L: Wolfsfieber
weiter.
DasRuelle-AnwesenkaminSicht,alswirineinemweitenBogeneinekleineInselumrundeten.DasGebäudewürdesichbestensaufeinerHalloween-Kartemachen.DieDachziegelwarengraugeworden,dieFensterzerbrochen;dieVerandakipptezueinerSeiteweg.AbertrotzseinesZustandsundoffensichtlichenAlterskameinemautomatischdasWortimposantindenSinn.InlängstvergangenenTagenwarendieRäumebestimmtvonMusik,LachenundMenschenerfülltgewesen.Wennichmichstarkgenugkonzentrierte,konnteichvormeinemgeistigenAugesehen,wie das Herrenhaus der Ruelles wieder zum Leben erwachte.
In diesem Teil Louisianas lagen die meisten Plantagen an der Great River Road, die von New Orleans bis nach Baton Rouge verlief. Hier auf eine zu stoßen, war ebenso mysteriös wie faszinierend. Ich hatte das Gefühl, durch eine Zeitschleuse in ein anderes Jahrhundert katapultiert worden zu sein.
Charlie schaltete den Motor aus, und das Boot stieß gegen die vermoderte Anlegestelle.
„Wann hat zuletzt jemand hier gewohnt?“
„Früher haben sich immer wieder mal Obdachlose hier einquartiert. Aber in letzter Zeit nicht mehr.“
„Warum nicht?“
„Sie bekamen’s mit der Angst zu tun. Soll gespukt haben und so. Wie ich gehört hab, sind ein paar Menschen verschwunden und nie wieder aufgetaucht.“
Ich starrte zu dem Gebäude. Wenn irgendetwas wie ein Spukschloss aussah, dann das Herrenhaus der Ruelles.
„Man sollte meinen, dass die Wände wegen der Feuchtigkeit längst vermodert wären.“
„Sie sind aus dem Holz von Sumpfzypressen. Das verrottet nie. Das Haus wird bis zum Ende aller Tage dort stehen.“
Eigentlich hätte es mich beruhigen sollen, dass die Bausubstanz solide war, doch stattdessen machte es mich ein bisschen nervös, dass das Haus noch hier sein würde, wenn die restliche Welt untergegangen war.
„Kommen Sie mit“, befahl ich.
Ich fürchtete mich nicht vor Geistern, aber es fiel mir schwer zu glauben, dass sämtliche Obdachlosen der Gegend durch die Gerüchte vertrieben worden sein sollten. Der Gedanke, einem heimlichen Bewohner über den Weg zu laufen, während ich durch das Haus spazierte, behagte mir gar nicht.
Charlie zuckte mit den Achseln, vertäute das Boot und folgte mir.
„Was sind das für Blumen?“ Ich deutete auf einen Streifen, der die Grenze zwischen Garten und Sumpf zu markieren schien. „Die hohen roten meine ich.“
„Feuerlilien.“
„Hübsch.“ Ich machte einen Schritt auf sie zu.
„Fassen Sie sie nicht an!“
„Warum nicht?“
Durch meinen Kopf blitzten Bilder von Nesselsucht, Hautausschlag und Sumpfwarzen. Verdammt. Und so was hatte auf meinem Bett gelegen.
„Bringt Unglück.“
„Welche Art von Unglück?“
„Hoodoo und so was.“
Hoodoo war vermutlich eine altmodische, hinterwäldlerische Vision vo n …
„Voodoo?“
Seine einzige Antwort bestand in einem weiteren Schulterzucken.
Dies war seit meiner Ankunft das zweite Mal, dass Voodoo Eingang in ein Gespräch gefunden hatte. Aber natürlich war ich in New Orleans, der amerikanischen Voodoo-Hauptstadt. Es sollte mich also nicht überraschen.
Das tat es auch nicht. Trotzdem entschied ich, dass es eine gute Idee wäre, dieser Priesterin Cassandra einen Besuch abzustatten.
Charlie ging die Treppe hoch, wobei seine Stiefel auf den abgetretenen Holzstufen ein Geräusch wie fernes Donnergrollen erzeugten. Obwohl die Sonne alles gut durchzubraten drohte, trug er Jeans, ein langärmeliges Hemd und Arbeiterstiefel. Ich vermutete, dass Letzteres etwas mit den Schlangen zu tun hatte. Nach einem Blick auf meine Tennisschuhe machte ich mir eine geistige Notiz, mir robusteres Schuhwerk zuzulegen.
Er öffnete die Tür, und ich folgte ihm nach drinnen. Hier hatte früher tatsächlich jemand gewohnt. Mehrere hundert Jemands sogar, der Größe des Müllhaufens nach zu urteilen. Der Gestank war nicht gerade appetitlich.
Alte Essensreste, frischer Schmutz un d …
Ich hätte schwören können, Blut zu riechen.
Ich schüttelte den Kopf. Das Haus war düster, staubig und verdreckt, aber da war kein Blut. Aus welchem Grund hätte welches hier sein sollen?
Falls es je Möbel gegeben hatte, waren sie inzwischen verschwunde n – entweder gestohlen oder als Brennholz benutzt, wobei ich mir nicht vorstellen konnte, dass die Temperatur jemals weit genug in den Keller sinken würde, um ein Feuer zu
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