Wolfsflüstern (German Edition)
Untergrund.
Mit exakt demselben Ergebnis. Das Herz der Erde schlug mit solcher Kraft gegen ihre Handfläche, dass sie eine Gänsehaut bekam.
Sie wischte die Hand an ihrer Jeans ab, doch das Wummern hielt weiter an; es vibrierte durch ihr Gesäß und ihre Wirbelsäule hinauf. Es kam ihr vor, als würden ihre Haare, obwohl sie durch den wie Nadeln fallenden Regen an ihrem Kopf klebten, buchstäblich zu Berge stehen.
Giii-naaa , flüsterte der Wind, und sie erschauderte so heftig, dass sich die Härchen auf ihren Armen aufstellten.
»Hey!«
Sie hob den Kopf und scannte mit den Augen die Dunkelheit. Hatte sie jemanden rufen gehört? Vielleicht war das gewisperte Gina des Windes in Wirklichkeit ein Gina aus einem menschlichen Mund gewesen – und nicht aus einem …
»Teo?« Gina stand auf. Sie fühlte das Beben der Erde unter ihren Füßen. Sie schwankte, konnte sich jedoch aufrecht halten, während sie mit flacher Atmung und angestrengtem Blick nach der Taschenlampe Ausschau hielt. Sie war vor ihm weggelaufen, doch jetzt wünschte sie sich nichts sehnlicher, als ihn wiederzusehen.
Die Welt wurde strahlend weiß, und dann sah sie ihn, noch immer gut hundert Meter entfernt. Die Erleichterung, die sie durchströmte, presste ihr die Luft aus den Lungen, als gleich darauf alles wieder pechschwarz wurde.
Teo hatte ihren Namen gerufen. Es war nicht der Wind gewesen.
Allerdings erklärte das nicht das Ba-bum unter ihren Sohlen. Sie hatte keinen Schimmer, ob es dafür überhaupt eine Erklärung gab.
Es sei denn, dass dort unten wirklich ein Zauberer begraben lag.
Gina wollte auf Teo zulaufen, als das Ba-bum zu einem einzigen, langen, rollenden Grollen wurde. Sie streckte die Arme zur Seite, um das Gleichgewicht zu halten. Der Himmel wurde taghell, und alles, was eben noch solide gewesen war, verschwand.
Jedes Mal, wenn ein Blitz zuckte, hob Matt den Kopf. Der Baum war immer da – wohin sollte er auch gehen? –, aber Gina … Gina war eine andere Geschichte.
Beim ersten Blitz hatte er gesehen, wie sie mit hastigen Schritten auf diesen unheimlichen alten Baum zugerannt war.
Beim zweiten war sie nicht mehr gelaufen, sondern hatte still wie eine Statue dagestanden. Der Himmel war weiß geworden und hatte beide, den massiven Baum und die winzige Gestalt davor, wie eine Radierung aussehen lassen.
Beim dritten war der Himmel in silberne Splitter zerborsten, und was Matt sah, ließ ihn straucheln und beinahe hinfallen.
Weit und breit keine Gina.
Was unmöglich war. Dies war eine Ebene. Das Einzige, was aus ihr herausragte, waren dieser Baum und sie. Es gab nichts, wohin sie verschwunden sein könnte, es sei denn …
Matt holte Luft, dann schrie er: »Hey!«, gefolgt von »Gina!« Er lauschte. Doch wegen des starken Windes, des Regens und des Donnergetöses konnte er nicht mehr hören als seinen stetig schneller werdenden Herzschlag, der so laut dröhnte, dass Matt sein Echo sogar in den Füßen spürte. Er befürchtete, jeden Moment einen Herzinfarkt zu erleiden, trotzdem rannte er los.
Beim nächsten Blitz sah er Gina wieder. Er hatte nicht gemerkt, dass er die Luft anhielt – kein Wunder, dass sein Herz bis in seinen Kopf hämmerte –, als sie bei ihrem Anblick in einem einzigen Schwall aus seinem Mund strömte.
Aber seine Erleichterung war von kurzer Dauer, denn plötzlich wurde das Wummern seines Herzens zum Wummern der Erde, als diese sich auftat und Gina bei lebendigem Leib verschluckte.
Der Boden gab nach, und der eben noch feste Untergrund war mit einem Mal einfach weg. Gina fiel in die Tiefe und schlug auf, doch die Erde um sie herum stürzte nicht auf sie herab. Nur etwas Schlamm lief die Wände hinab und spritzte auf ihre Haut.
»Gina!«
Ihr Blick huschte in der dunklen Grube umher, als sie festzustellen versuchte, aus welcher Richtung ihr Name gerufen wurde. Dann platschte ein weiterer dicker Matschklops herab, dieses Mal direkt auf ihren Kopf. Sie schaute im selben Moment nach oben, als es wieder blitzte, und da erkannte sie Teos ängstliches Gesicht, das über den Rand des Erdlochs spähte. »Alles okay?«
Gina unterzog ihren Körper einer kurzen Inspektion. Eigenartigerweise fühlte sie sich physisch besser als nach ihrem Sturz von Lady Belle. Mental sah die Sache etwas anders aus.
Mental brüllte sie wie am Spieß. Ihre Eltern waren hier unten.
Sie wandte sich wieder der undurchdringlichen Finsternis zu, die sie umschloss.
Irgendwo .
Aber … was, wenn ihre Eltern die geringste ihrer
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