Wolfsflüstern (German Edition)
folgte sie ihm zur Tür, wo sie gegen seinen Rücken prallte, als er sie zu öffnen versuchte und nicht mehr daran dachte, dass sie zugesperrt war.
Als sie hinter allen anderen her die Treppe hinabstürmten, verstummten die Schreie plötzlich. Trotzdem dröhnten Gina noch immer die Ohren.
Sämtliche Gäste versammelten sich in der Küche, wo Fanny versuchte, die völlig hysterische Amberleigh zu beschwichtigen, während Isaac mit seinem Gewehr in der offenen Tür stand.
Gina drängte sich durch die Leute. »Was ist passiert?«
Amberleigh holte mehrere Male keuchend Luft, dann begann sie, fast so geräuschvoll zu schluchzen, wie sie zuvor geschrien hatte.
»Mann«, ächzte Derek. »Ist die laut.«
Melda eilte zu Amberleigh, legte den Arm um sie und führte sie von der Küche ins Esszimmer, nur weg von der Tür, auf die das Mädchen so panisch starrte, als könnten der jeden Moment Reißzähne wachsen, um es zu beißen.
Wenigstens schien die alte Dame heute wieder mehr sie selbst zu sein. Das Gleiche galt für die blonde Taubnuss. Laut war einfach ihr Ding.
»Sollte diese Tür offen stehen?«, fragte Gina.
Isaac schaute düster drein und knallte sie zu. »Die Sonne ist aufgegangen. Die Wölfe sind weg.«
»Weg wohin?«
»Sie haben sich zurück in Menschen verwandelt. Direkt hier auf dem Hof.« Er senkte die Stimme. »Mels nacktes Hinterteil ist etwas, das ich nie wieder sehen möchte.« Isaac taxierte das Grüppchen mit missmutiger Miene. »Nur weil sie jetzt menschlich aussehen, sind sie das noch lange nicht. Ihre Seelen starben zusammen mit ihnen. Sie werden alles dransetzen, uns nach draußen zu locken und uns dort festzuhalten, bis sie uns zu dem machen können, was sie sind. Das ist ihre Berufung.«
»Was hat Amberleigh denn derart aus der Fassung gebracht?«, fragte Teo, als er die Küche betrat. Sein T-Shirt hatte sich an einer Seite verheddert und gab den Blick auf einen Streifen straffer Bauchmuskeln frei. Gina bezwang das Bedürfnis, daran zu lecken wie an einer Eiswaffel. Stattdessen zog sie den Saum nach unten, dann nahm sie seine Hand.
Als sie wieder zu Isaac schaute, haftete sein Blick an diesem Paar Hände; dann schweifte er zu Teos Brust und schließlich zu Ginas Gesicht. Obwohl kein Vorwurf in seinen dunklen Augen lag, erkannte Gina, dass er wusste, was und mit wem sie es getrieben hatte.
Sie öffnete die Finger, aber Teos Hand ließ die ihre nicht los, worüber sie gleich darauf froh war. Vorzugeben, dass sie nicht zusammen waren, würde nicht funktionieren. Denn sie waren es, und das würde auch so bleiben. Daran mussten sich alle gewöhnen.
Isaac schaute zu Boden. »Sie sagte, Ashleigh wollte sie sehen.«
»Ashleigh ist ein Werwolf«, erklärte Gina. »Woher sollte Amberleigh wissen, was Ashleigh will?«
»Sie behauptet …« Isaac stieß den Daumen in Richtung Esszimmer, wo Melda Amberleigh inzwischen so weit hatte beruhigen können, dass sie nur noch gutturale, bebende, fast lautlose Schluchzer ausstieß. Gut gemacht, Melda! »Sie habe ihren Namen im Wind gehört.«
Gina erstarrte. Oh-oh .
Teos Finger schlossen sich fester um ihre. War sie zusammengezuckt? Es würde sie nicht überraschen. »Und weiter?«
»Sie hat sich an Fanny vorbeigeschlichen, ist dem Geräusch gefolgt, die Treppe hinunter, und hat einen Wolf in der Küche vorgefunden.«
Jetzt fuhr Gina so heftig zusammen, dass sie Teo unabsichtlich fast die Hand entrissen hätte. »Er war hier im Haus?«
»Ihr zufolge, ja.«
»Sie nuckelt seit zwei Tagen am Daumen«, wandte Tim ein. »Können wir ihr tatsächlich irgendetwas glauben?«
»Ich habe ihn gesehen!«, kreischte Amberleigh und sprang auf, ohne sich von Melda beschwichtigen zu lassen. »Er war gleich dort drüben.« Sie zeigte mit einem heftig zitternden Finger auf den Boden neben Isaacs Füßen. »Seine Augen«, stöhnte sie. »Sie waren entsetzlich.« Dann sagte sie seltsamerweise: »Mein Knöchel tut weh.«
»Lass uns nach oben gehen und …« Meldas Stimme verlor sich im Nichts. Das schien immer häufiger zu passieren, seit Mel nicht mehr da war, um ihre Sätze zu Ende zu bringen. Trotzdem erlaubte Amberleigh ihr, sie nach oben zu geleiten.
»Die Taubnuss ist schon eine seltsame Tussie«, kommentierte Derek.
» › Tussie ‹ sagt man nicht«, wies sein Vater ihn zurecht. »Aber seltsam ist sie definitiv.«
»Wenn einer von ihnen ins Haus eingedrungen ist, wie kam er wieder heraus?«, überlegte Gina laut. »War die Tür offen, als du in die Küche
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