Wolfsgesang - Handeland, L: Wolfsgesang
hoffen.“
Mein Blick glitt von der Zigarette zu seinem Gesicht, das so undurchschaubar war wie immer. „Was soll das denn heißen?“
Achselzuckend nahm er noch einen tiefen Zug und ließ dann den Rauch aus seiner Nase entweichen, während er sprach. „In meiner Branche ist es wahrscheinlicher, bei einer Kneipenschlägerei getötet zu werden als durch Krebs.“
„Und Sie würden Krebs bevorzugen?“
„Wurde schon mal auf Sie eingestochen? Kann ich nicht empfehlen.“
Seine Offenheit machte mich sprachlos. Trotz meines blutrünstigen Jobs war ich im Herzen noch immer ein der oberen Mittelschicht angehörendes, weißes Mädchen aus Kansas. Während einer Kneipenschlägerei niedergestochen zu werden, gehörte nicht zu meinem Erfahrungsschatz. Von einem Werwolf gebissen zu werden, war eine andere Sache.
„Sie könnten den Beruf wechseln“, schlug ich vor.
Seine Mundwinkel hoben sich, aber er machte sich nicht die Mühe zu antworten. Ich hatte das Gefühl, als hielte er mich für naiv, und vermutlich war ich das auch. Wenn er sich eine andere Arbeit suchen könnte, würde er es tun. Aber was hielt einen attraktiven, einigermaßen intelligenten Mann in einem Job ohne Aufstiegschancen?
Hätte ich es nicht besser gewusst, dann hätte ich ihn für einen Werwolf gehalten. Viele von ihnen waren Wanderarbeiter, die gegen Bares Gelegenheitsjobs verrichteten. Auf diese Art war es einfacher. Keine Nachweise, wo man sich aufgehalten hat, wenn ein Haufen toter Menschen auftaucht.
Außerdem gab es noch das Problem, dass sie weitaus länger lebten, als sie sollten. Etwas war nicht koscher, wenn jemand, der wie zwanzig aussah, dieselbe Sozialversicherungsnummer hatte wie jemand, der 1925 geboren wurde.
Wann immer ich in einer neuen Stadt jagte, überprüfte ich als Erstes die Jobs, in denen Barzahlung an der Tagesordnung wa r – wie zum Beispiel in Bars, Restaurants und auf dem Bau.
Natürlich gab es Werwölfe, die dieses Problem umgingen, indem sie ihren eigenen Tod vortäuschten, Daten manipulierten, sich falsche Identitäten kauften oder in die Computersysteme der Regierung eindrangen. Wenn man ewig lebt, hat man eine Menge Zeit, sich nützliche Kenntnisse anzueignen.
Damien zündete sich am Stummel der ersten eine neue Zigarette an und rauchte praktisch ohne Unterbrechung weiter.
„Machen Sie gerade Pause oder so was?“, fragte ich.
„So was.“
Das war ja mal eine erhellende Auskunft.
„Si e – ä h – arbeiten jeden Abend?“
„So ziemlich.“
„Es gibt keinen anderen Barkeeper?“
„Ich hatte eine Kollegin, aber die hat sich aus dem Staub gemacht.“
„Wann war das?“
„In der Nacht, als Sie hier aufgekreuzt sind. Deshalb habe ich mich erst so spät für die Arbeit angezogen. Sue hat sich nicht blicken lassen. Und es hat sie seitdem auch niemand mehr gesehen.“
Oh-oh. Ich hatte so eine Ahnung, was Sue zugestoßen sein könnte. Nämlich ich. Niemand hatte sie als vermisst gemeldet, und vermutlich würde das auch nie geschehen.
„Sie hat auch abends gearbeitet?“
Eine ziemlich wichtige Frage. Werwölfe mussten jagen. Es war ihre Natur. Sie konnten nicht unendlich lange ohne Beute auskommen. Genau wie die Weendigos gierten sie nach Menschenfleisch.
Im Gegensatz zu dem verbreiteten Mythos verwandelten Werwölfe sich nicht automatisch im Mondlicht. Es war ihre freie Entscheidun g – außer bei Vollmond. In diesen Nächten herrschte für mich und meine Kollegen Hochbetrieb.
„Wir haben uns abgewechselt“, fuhr Damien fort. „Keiner von uns wollte ständig dieselbe Schicht arbeiten.“
Interessant. Die meisten Leute zogen einen festen Rhythmus vor. Ich war da keine Ausnahme.
„Was werden Sie jetzt tun?“, fragte ich.
„Jemand anders anheuern. Vielleicht den Cowboy. Er hängt sowieso die ganze Zeit hier rum.“
Ich erkannte die Gelegenheit und nutzte sie. „Der Cowboy ist von hier?“
Damien warf mir einen misstrauischen Blick zu. „Niemand ist von hier. Außer ein paar der Indianer.“
„Niemand?“
„Niemand, von dem ich wüsste. Leute, die hier geboren wurden, können es nicht erwarten, wegzukommen. Leute, die zu Besuch hier sind, reißen sich darum, herzuziehen. Da werd’ einer schlau draus.“
„Woher stammt der Cowboy?“
„Cleveland?“ Er zuckte die Achseln.
Ich wartete darauf, dass er lachte. Seiner Miene nach hätte ich da bis zum nächsten Jahrtausend warten können.
„Sie wissen es nicht?“
„Ich frage nicht danach. Eine Sache, die man in meinem Job
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