Wolfsgesang - Handeland, L: Wolfsgesang
der Raum um mich drehte. Meine Augen wurden schmal.
„Entspannen Sie sich. Mandenauer hat nichts gesagt, das nicht auch in dem Polizeibericht stand.“ Ihre Lippen zuckten. „Abgesehen von dem Teil mit den Werwölfen.“
Die Polizei war zu dem Schluss gekommen, dass tollwütige Hunde meine Familie umgebracht hatten. Es gab davon genügend in Topeka.
„Ich kann mir nicht ausmalen, wie das gewesen sein muss“, sagte sie sanft.
„Nein, das können Sie nicht.“
„Meine beste Freundin war ein Werwolf. Sie hat mich jahrelang zum Narren gehalten. Wollte mich zu einer von ihnen machen. Um anschließend die Welt zu beherrschen. Ich habe sie aufgehalten.“
Unsere Blicke trafen sich, und ich erkannte, wie sehr sie das, was in Miniwa geschehen war, mitgenommen hatte. Es passiert schließlich nicht jeden Tag, dass jemandem, dem man vertraut, plötzlich ein Fell wächst und er versucht, dich umzubringen. Für einen kurzen Moment wollte ich ihr die Hand reichen, aber Jessie musste ja unbedingt wieder ihren Mund aufmachen.
„Sie wissen noch etwas anderes, und ich habe keine Lust, getötet zu werden, weil Sie zu feige sind, mir zu sagen, was es ist.“
Ich schüttelte den Kopf, als ob mir jemand einen Eimer Wasser drübergekippt hätte, dann wackelte ich mir mit dem Finger im Ohr. „Feige?“
„Sie haben mich ganz richtig verstanden. Was haben Sie heute Nacht da draußen gesehen, das Ihnen solche Angst gemacht hat, dass Sie zu mir gelaufen kommen?“
Jessie war vielleicht der nervtötendste Mensch auf dem ganzen Planeten, aber sie war nicht dumm, sie war nicht langsam und sie würde keine Ruhe geben, bis ich es ihr erzählte.
In Wahrheit hatte ich tatsächlich Angst gehabt. Hatte ich den weißen Wolf gesehen oder nicht? Falls ich es hatte, steckten wir alle bis zum Hals in der Scheiße. Falls ich es nicht hatte, traf das nur auf mich zu. So oder so konnte es nicht schaden, ihr eine Frage zu stellen.
„Haben Sie je den Namen Hector Menendez gehört?“
„Sollte ich?“
„Ich weiß nicht. Sie sind der Sheriff.“
„Sie denken, er ist hier?“
Ich seufzte. „Vielleicht.“
„Wie sieht er aus?“
„Einsneunundachtzig,neunzigKilo,schwarzeHaare,Kinnbärtchen,hispanischerTyp.Seh r … attraktiv“,würgteichhervor.
Hector war einer der schönsten Männer gewesen, die ich je gesehen hatte. Seine Schönheit machte einen großen Teil seines Reizes aus. Als ich schließlich erkannte, was sich unter dieser Schönheit verbarg, war es zu spät gewesen.
„Ich habe ihn nicht gesehen“, sagte Jessie. „Aber das bedeutet gar nichts. Die Menschen kommen und gehen. Haben Sie ihn gesehen?“
„Ich bin mir nicht sicher.“
„Vielleicht erzählen Sie mir besser, wer er ist.“
„Hector ist der Werwolf, der meine Familie getötet hat.“
Ihre Augen weiteten sich. „Und Sie haben ihn in Crow Valley gesehen?“
„Ichbinmirnichtsicher“,wiederholteich.„Ichdachte,ichwürdedraußenvorderBareinenWolfsehen.Ichbinihmgefolgt,aberder, den ich dann erschossen habe, war schwarz, nicht weiß.“
„Sie sagten, Hector hatte schwarze Haare.“
„Die hatte er auch.“
„Wie könnte er dann ein weißer Wolf sein?“
„Seine Mutter war blond und Hector ebenfalls.“
Er hatte mir mal ein Foto von ihr und sich gezeigt. Hector war als Kind ein richtiger Flachskopf gewese n – seine dichte, wellige Mähne schon eher weiß als blond. Ich hatte es damals süß gefunden, dass er ein Foto von sich und seiner Mutter in der Brieftasche hatte. Später, als er mir den Rest erzählte, hatte das Foto mich nervös gemacht. Leider nicht nervös genug, als dass ich aufgehört hätte, mich mit ihm zu treffen. Obwohl es da vermutlich sowieso schon zu spät gewesen wäre.
„Seine Mutter hat die Familie verlassen, als er noch sehr jung war, und dafür hat er sie gehasst. Er hat sich die Haare gefärbt, damit sie dieselbe Farbe hatten wie die seines Vaters. Ich fürchte, Hector ist ein kleines bisschen psychotisch.“
„Wie kann man ein kleines bisschen psychotisch sein?“
„Na schön.“ Ich warf die Hände in die Luft. „Er ist ein tollwütiger Irrer.“
„Großartig. Ein psychotischer Werwolf?“ Sie stand auf und trat gegen den Schreibtisch. „Genau, was wir brauchen.“
Plötzlich drehte sie sich blitzschnell zu mir um. „Warten Sie ’ne Sekunde. Wir suchen nach einem Kannibalen. Jetzt sagen Sie mir, dass da ein Irrer in der Stadt ist. Das riecht für mich ein bisschen zu sehr nach Zufall.“
„Aber der braune
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