Wolfsgesang - Handeland, L: Wolfsgesang
umarmen. Mich verhalten wie in längst vergangenen Tagen, als ich noch fürsorglich und liebevoll gewesen war. Da ich inzwischen nichts mehr davon war, vergrub ich die Hände in den Hosentaschen und drehte mich weg.
Jessie versuchte, Will abzuwerfen, aber vergebens. „Geh runter von mir, Cadotte; du wiegst eine Tonne.“
„Versprichst du, brav zu sein?“
„Verdammt, nein.“
„Das habe ich mir gedacht.“
Er gab sie trotzdem frei.
Jessie sprang auf die Füße und warf mir einen finsteren Blick zu. Ich hob die Hände. „Ich ergebe mich.“
„Gut. Ich leg keinen Wert drauf, den beiden hier noch ’nen Steifen zu verschaffen.“ Sie senkte die Augen zu Damiens Hose. „Obwohl er dabei keine Hilfe nötig zu haben scheint.“ Ihr Blick glitt zu mir. „Was läuft da zwischen euch?“
„Jess, kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten“, ermahnte Will sie.
„Sie ist meine Angelegenheit.“
„Träum weiter.“
Jessie beachtete mich nicht. „Wer zur Hölle sind Sie, Fitzgerald? Woher kommen Sie?“
„Von überall und nirgends.“
„Sie arbeiten gegen bar. Das ist illegal.“
Damien hielt ihr die Handgelenke entgegen. „Verhaften Sie mich.“
Jessies Lippen wurden schmal. „Vielleicht später.“
Er wandte seine Aufmerksamkeit mir zu. „Du hast mich von ihr überprüfen lassen?“
Ich zuckte die Schultern. „Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.“
„Und was habt ihr herausgefunden?“
„Nicht eine einzige verdammte Sache“, antwortete Jessie. „Niemand ist derart perfekt. Sie haben Geheimnisse, Fitzgerald, und ich will wissen, was für welche.“
„Stellen Sie sich hinten an“, murmelte er.
Schweigen legte sich über das Zimmer. Jessie funkelte Damien an. Ich funkelte Jessie an. Damien funkelte mich an. Will war der Einzige, der nicht aufgebracht wirkte. Nicht mehr.
„Also, wo hast du das gelernt?“, fragte er.
Blinzelnd drehte Damien sich zu ihm um. „Was gelernt?“
„Selbstverteidigung.“
„Auf der harten Schule des Lebens.“
„Du hast nie eine echte Ausbildung gehabt?“ Will wirkte schockiert. „Ich mache schon seit einigen Jahren Tai-Chi, aber ich habe noch nie jemanden gesehen, der so flink ist wie du.“
„Danke.“
Damien vertiefte das Thema nicht. Ein weiteres kleines Geheimnis, das sich zu dem großen Haufen gesellte. Aber ich sollte nicht mit Steinen werfen. Schließlich würde ich ihm auch nichts über meine Vergangenheit erzählen.
„Was macht ihr zwei überhaupt hier?“, fragte ich.
Als ich sie zuletzt gesehen hatte, waren sie mitten in einem Streit gewesen. Im Moment sollten sie sich eigentlic h … versöhnen.
„Ich hatte einen Anruf von Elwood“, erklärte Jessie.
Eine Sekunde lang wusste ich nicht, von wem sie redete. Dann fiel mir wieder ein, dass Elwood der Hilfssheriff war. Jessie hatte ihm das Foto von Hector gegeben. Wenn Elwood angerufen hatte, dan n –
Mir wurden die Knie weich, und ich fing an, zu schwanken.
„Leigh!“Damienwolltemichstützen,aberichstießihnweg.
„Mir fehlt nichts.“
Jessie und Will starrten mich an, als ob mir plötzlich ein zweiter Kopf gewachsen wäre. „Was ist los mit dir?“, fragte sie. „Wir müssen uns um eine weitere Wolfstötung kümmern. Ich lege keinen Wert drauf, dass du auf dem Weg dorthin in die Büsche kotzt.“
„Wolfstötung?“, wiederholte ich mit schwacher Stimme.
„Ja. Elwood ist zufällig au f – “ Sie brach ab und sah Damien an. „Macht es Ihnen was aus?“
„Ä h … nein. Kein Problem.“ Er drückte meine Schultern. „Ich muss mich sowieso aufs Ohr hauen.“ Er küsste mich auf die Stirn, und ich unterdrückte den Drang, ihn zu umarmen. „Wir sehen uns später.“
Das klappernde Geräusch seiner Schritte auf der Treppe verklang viel zu schnell. Warum ich Damien plötzlich mit Sicherheit assoziierte, wusste ich nicht, aber ich musste damit aufhören. Der einzige Mensch, auf den ich mich verlassen durfte, war ich selbs t – und vielleicht Edward.
„Elwood hat Hector nicht erkannt?“, platzte ich hervor.
„Was?“ Jessie hatte mürrisch zur Tür geschaut. „Ach so, deshalb bist du so blass geworden. Ich hab ihm das Bild noch gar nicht gezeigt. Das wollte ich machen, sobald wir am Tatort ankommen.“
Will seufzte. „Bitte entschuldige, Leigh. Wenn Jess sich auf eine Sache fokussiert, vergisst sie darüber alles andere. Sie wollte dir keine Angst machen.“
Offensichtlich hatte Jessie ihm von Hector erzählt. Zumindest das, was sie
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