Wolfsgesicht
Peter Gabriel kennen doch gar nicht so viele.«
»Ich weiß auch nicht, wer es ist«, gab Peter zu.
Justus kramte noch in seinem Gehirn, Abteilung Statistiken. Aber er wurde nicht fündig. »In der Hitparade tauchte er wohl nicht auf?«, fragte er.
»Doch«, antwortete Bob. »Aber es ist schon eine Weile her. Ein europäischer Musiker, Engländer, der sich dann um afrikanische Musik gekümmert hat.« Er lief zu seinem CD-Regal. »Warte, es müssen zwei CDs von ihm dabei sein.«
Peter hätte zwar gerne vom gestrigen Abend weiterberichtet. Immerhin fehlte noch der Höhepunkt des Ganzen, Brief Nummer drei, dessen Kopie förmlich in seiner Tasche brannte. Doch Justus war aufgesprungen und hatte sich zu Bob gesellt. »Vielleicht gibt es wirklich einen Zusammenhang zwischen Wolfsgesicht und dem Telefonanruf«, sagte er und nahm sich eine der beiden CDs. »Wolfsgesicht spielt mit dem Feuer. Er gibt Hinweis um Hinweis, spielt aber so intelligent, dass er immer einen Schritt voraus ist. Vielleicht war die Plastiktasche ein Zeichen, bei Sendler nachzuforschen. Aber er ahnt vermutlich nicht, dass wir mit Bob einen Musikexperten haben.«
Bob hatte aufgeregt das Textheft einer CD herausgezogen und studierte es. »Ich habe es gleich«, sagte er, »es liegt mir auf der Zunge. Es gibt da einen Song … Verdammt, die Stichworte noch mal, los, helft mir«, murmelte er.
»Fernglas, Präzisionswaffe, Kletterseil, Maske des Präsidenten«, sagte Justus und blätterte ebenfalls ein Textheft durch.
»… und einsamer Junge«, ergänzte Bob. »Erinnert ihr euch, diese komische Zeile aus dem zweiten Brief.«
»Natürlich«, sagte Justus. »Einsamer Junge hinter der Tür.«
»Ich hab’s!«, rief Bob und ließ vor Aufregung die CD fallen. »Es ist eine Zeile aus dem Lied ›Schnappschuss‹! Passt auf!«
Bob legte die CD ein und drückte auf den Startknopf. Während das Lied lief, zog Peter die Kopie des dritten Briefes aus der Tasche und faltete sie auseinander. Und je mehr er hörte, desto stärker zitterten seine Hände: Bob hatte den Schlüssel tatsächlich gefunden.
»Hört zu«, sagte Peter sofort, als Bob die CD stoppte. »Ich habe noch etwas ganz Heißes mitgebracht!« Und er las vor:
Ich bin kurz vor dem Ziel, Cotta, du Pflaume. Und nichts hast du erreicht. Gib es zu, du tappst im Dunkeln. Und ich, ich ziele in das Licht. Hier meine letzte Geschichte:
Der Mann liegt auf dem Bett. Er denkt: Ich – zeig es euch jetzt. Ich – zeig es euch jetzt. Er steht auf. Geht durch das Zimmer und holt seinen kleinen schwarzen Koffer. In aller Ruhe schraubt er seine Präzisionswaffe zusammen. Heute mach ich es endlich, denkt er. Er blickt auf die Uhr. Im Hintergrund läuft der Fernseher. Der Ton ist abgestellt. Reporter stehen Spalier. Vier Straßen noch braucht der Zug. Der Mann geht an das Rollo und sucht mit seinem Fernglas vorsichtig die Straße ab. Die Menschen draußen beginnen zu jubeln. Der Mann lächelt. Was du nicht kriegst, musst du holen, sagt der Mann und blickt durch das Zielfernrohr seiner Waffe. Ich ziele in das Licht.
»Peter!«, rief Justus. »Ist das der dritte Brief? Warum zeigst du ihn uns erst jetzt?«
Bevor Peter antworten konnte, fuhr Bob dazwischen. »Mann! Im Brief finden sich haufenweise Stellen aus dem Lied. Nun ist alles klar!« Er holte hörbar Luft, nahm den Brief und überflog ihn noch einmal. »Ich – zeig es euch jetzt … Heute mach ich es endlich … Fernseher … Ton ist abgestellt … Reporter … vier Straßen noch … Jubel … Ich ziele in das Licht. – Alles Zitate! Leute, ich steige aus«, sagte er dann mit fester Stimme.
»Du tust was?«
»Ich steige aus, Justus. Denn diese Sache ist wirklich eine Nummer zu groß für uns! Es geht hier um nichts Geringeres als um einen Anschlag auf den amerikanischen Präsidenten!«
Justus fasste sich mit den Händen an den Kopf. »Klar, klar, klar!«, rief er. »Wie konnten wir nur so blöd sein. Es deutete doch eigentlich alles darauf hin: Die Maske des Präsidenten: Sie bezeichnet das Opfer. Ein Fernglas: um dessen Ankunft zu beobachten. Ein Scharfschützengewehr: für die Tat selbst. Das war die geheime Botschaft in all den Geschichten. Und auf nichts anderes spielt das Lied an.«
Bob nickte. »Genau, in dem Lied geht es vermutlich um den Kennedy-Mord. Der Song benennt es zwar nicht ausdrücklich, aber er erzählt sozusagen von einem ewigen Verlierer, von einem allein gelassenen Jungen, der mit der Vorstellung spielt, sich mit dieser
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