Wolfsglut - Handeland, L: Wolfsglut
sprechen. Tot ist tot.“
„Nicht wirklich.“
Er blinzelte. „Ach nein?“
Es fiel mir schwer, mich an alles zu erinnern, was Nic über meine Welt wusste und was nicht. Edward hatte ihm das Wesentliche gesagt, aber was war für Edward das Wesentliche?
„Wenn ein Werwolf beißt, aber nicht frisst, entsteht innerhalb von vierundzwanzig Stunden ein neuer Werwolf.“
„Was, wenn das Opfer stirbt?“
„Dann wird die Sache hässlich. Die Toten erheben sich, die Menschen fangen an zu schreien, die Boulevardpresse taucht auf. Ein grässliches Durcheinander. Deshalb halten wir uns an die Richtlinie, die Gebissenen mit Silberkugeln zu erschießen, auch wenn sie nicht mehr atmen.“
„Danke für den Tipp.“
„Gern geschehen.“
„Und was ist mit Basil?“, überlegte Nic. „Warum hat Lydia vorgegeben, ihn kaum zu kennen?“
„Vielleicht schämt sie sich?“
„Oder aber er.“
Der Wind zauste mein Haar, und ein leises Geräusch lenkte meinen Blick zum Wald. Ich sah das Funkeln des Mondes auf Metall.
„Geh in Deckung!“, rief ich, eine Millisekunde bevor ein Gewehrschuss ertönte.
Eine Kugel zischte durch die Luft, wo eben noch mein Kopf gewesen war, und schlug in die Seitenwand des Blockhauses ein. Ich hatte langsam wirklich die Nase voll davon, dass ständig auf mich geschossen wurde.
Ich wartete auf weitere Schüsse, doch stattdessen hörte ich nur sich rasch entfernende Schritte. Nic machte mit gezogener Pistole Anstalten aufzustehen, aber ich zog ihn wieder nach unten. „Ich werde gehen.“
Bevor er widersprechen konnte, schlich ich mich zum Rand der Veranda, dachte an den Mond und verwandelte mich. Der Geruch eines Werwolfs drang mir in die Nase, ich sprang die Treppe hinunter und jagte in den Wald.
Die olfaktorische Wahrnehmung kitzelte mein Gehirn. Ich war mir nicht sicher, ob mir der Werwolfgeruch an sich vertraut vorkam, oder ob es der eines bestimmten, mir bekannten Werwolfs war. Aber selbst falls Letzteres zutraf, konnte ich ihn nicht identifizieren.
Ich kam nicht sehr weit, bevor der Geruch von Tod den wölfischen überlagerte. Beinahe wäre ich über Basils Leiche gestolpert. Seine Augen starrten blicklos zum Himmel. Ein Großteil seines Halses fehlte.
Ich knurrte leis e – ein Ton, der gleichzeitig warnend und nervös klang. Wer hatte das getan? Ich hob die Schnauze, heulte, wartete auf eine Antwort und bekam keine.
Der Geruch eines Werwolfs hüllte Basil ein. Eine Spur führte in den Wald, doch wurde sie schwächer und schwächer, bis sie schließlich ganz verschwand. Als ich Nic meinen Namen rufen hörte, lief ich zurück. Ich durfte ihn nicht ungeschützt im Mondschein stehen lassen, während sich hier ein unbekannter Werwolf herumtrieb.
Ich brach durch das Gestrüpp auf einer Seite der Lichtung, als Nic im selben Moment von der anderen Seite auftauchte. Sein Blick wanderte von der verstümmelten Leiche zu mir, und er zog die Brauen hoch. Ich schüttelte den Kopf und scharrte mit den Pfoten.
„Das behaupten sie alle.“ Nic warf eine Decke hinter einen Busch. „Ich dachte, du könntest sie brauchen.“
Von seinem Mitbringsel und dem Blattwerk geschützt, verwandelte ich mich mit jener Schnelligkeit zurück, die mir nun für immer zu eigen zu sein schien, dann wickelte ich mich in die Decke und trat wieder auf die Lichtung.
„Was ist passiert?“ Nic war schon dabei, den Toten zu untersuchen.
„Da war ein anderer Werwolf.“
Er hob den Kopf. „Kein menschlicher Biss. Vielleicht hatte er nicht die Zeit, sich zurückzuverwandeln und den Job zu Ende zu bringen.“
„Könnte sein“, murmelte ich.
„Eine Faustregel bei Mordfällen lautet: Extreme Brutalität, Verletzungen des Gesichts oder des Halses weisen auf eine persönliche Beziehung zwischen Opfer und Täter hin.“
„Was uns wieder zu Lydia führt. Sie hat’s mit Basil getrieben. Kommt mir ziemlich persönlich vor.“
„Lydia ist kein Werwolf.“
„Vielleicht hat sie mit einem geschlafen.“
„Und Basil mit einem Lykanthropen betrogen?“
„Möglicherweise weiß sie nichts davon.“
„Wir müssen noch mal mit ihr sprechen.“ Nic seufzte. „Jetzt haben wir also noch eine Leiche. Ich weiß nicht, wen wir noch anrufen könnten.“
„Wie wär’s mit dem Bürgermeister?“, schlug ich vor.
„Verdammt, warum nicht?“ Er warf die Hände in die Luft.
Wir gingen zum Blockhaus zurück, und Nic öffnete die Tür. Ich blieb zurück und musterte nachdenklich das Einschussloch, das in einer Holzplanke
Weitere Kostenlose Bücher