Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wolfsherz

Wolfsherz

Titel: Wolfsherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
riechen. Statt allmählich zur Ruhe zu kommen, zitterte er immer heftiger. Sein Atem ging so schnell, daß er praktisch hyperventilierte. Noch ein paar Sekunden, und er würde schlichtweg in Ohnmacht fallen.
    »Übel«, sagte eine Stimme hinter ihm. Er kannte sie. Er wußte nicht, woher, oder wem sie gehörte, aber er wußte, noch bevor sie weitersprach, daß er den Besitzer dieser Stimme kannte, und es war keine sehr angenehme Assoziation. »Sehr übel. Ihr Wagen? «
    Stefan drehte sich um, und aus der unangenehmen Assoziation wurde ein noch sehr viel unangenehmeres Erkennen. Wissler -
White -
hatte sich verändert. Statt zerrissener Drillichkleidung trug er jetzt einen modischen hellen Sommeranzug, dazu ein blauweiß gestreiftes Hemd mit farblich abgesetztem Kragen und eine helle Seidenkrawatte. Er war frisch rasiert und trug das Haar wesentlich kürzer als das letzte Mal, als sie sich getroffen hatten, und er hätte eigentlich besser aussehen müssen, oder wenigstens jünger.
    Keines von beidem war der Fall. Seine Haut wirkte teigig und blaß. Unter seinen Augen lagen schwere, dunkel verfärbte Tränensäcke, und der Ausdruck darin erinnerte Stefan an ein gehetztes Tier, das zu lange erfolglos auf der Flucht gewesen war und in jedem Schatten einen Feind vermutete. Er lächelte, aber sein Blick strafte dieses Lächeln Lügen. Sein rechter Arm hing in einer blauen, weiß abgesetzten Schlinge. Der Anblick der Hand, die daraus hervorschaute, irritierte Stefan im ersten Moment. Als er Whites rechte Hand das letzte Mal gesehen hatte, da hatte sie eine halbautomatische Waffe gehalten, und sich ungefähr fünf Meter vom Rest seines Körpers entfernt in den Fängen eines Wolfs befunden. Dann erkannte er seinen Irrtum. Was er für eine Hand hielt, waren die zu einer halben Faust gekrümmten und in schwarzes Leder gehüllten Finger einer Prothese. Es war keines jener modernen, bioelektronischen Modelle, mit denen man Dinge greifen, Flaschen öffnen und angeblich sogar Schreibmaschine schreiben konnte, sondern nur ein starres Anhängsel; im Grunde nur eine leicht überarbeitete Version des klassischen Piratenhakens.
    White war seinem Blick gefolgt und verzog nun die Lippen zu einem noch breiteren und noch weniger überzeugenden Grinsen. »Das ist die Sparausführung«, sagte er achzelzuckend. »Sie wissen ja, wie das ist, wenn man für den Staat arbeitet. Es wird gespart, wo es nur geht. « Er machte eine Kopfbewegung auf den BMW. »Was ist passiert? «
    »Ich hatte Schwierigkeiten mit einer Parklücke«, antwortete Stefan. Die Worte klangen lahm, schleppend und kein bißchen komisch. Wie um alles in der Welt kam White hierher? Und ausgerechnet jetzt? »Was... was tun Sie hier? « fragte er stockend. Sein Mund war immer noch voller bitterer Galle, die fast schneller aus seinem Magen emporstieg, als er sie herunterschlucken konnte. Ihm war schrecklich übel, und der Anblick von Whites Hand erinnerte seine Schulter wieder daran, daß sie etwas vergessen hatte. Sie begann zu pochen, dann heftig zu schmerzen. Er war nicht ganz sicher, daß es ihm gelang, sich nicht zu übergeben. Nun, wenn das geschah, dann konnte er White wenigstens praktisch demonstrieren, daß er ihn zum Kotzen fand.
    »Ich wollte Sie besuchen«, antwortete White, » genauer gesagt, Ihre Frau. «
    Und dann war er zufällig genau in dem Moment zur Stelle, in dem Stefan aus dem Wagen stieg. Wer sollte das glauben?
    Als hätte er seine Gedanken gelesen, fuhr White fort: »Ich bin seit gut fünf Minuten hinter Ihnen hergefahren. Natürlich wußte ich nicht, daß sie darinsitzen, aber der Wagen ist mir aufgefallen. «
    »Fünf Minuten? « fragte Stefan zweifelnd. Es hätte ihn nicht überrascht, wären es
fünfzig
Minuten gewesen. Diese Erklärung wäre ihm sogar wesentlich überzeugender vorgekommen.
    White zuckte mit den Achseln. »Vielleicht waren es auch nur drei. Oder acht. Spielt das eine Rolle? «
    Und wie, dachte Stefan. Laut antwortete er gar nicht, und nachdem er einige
    Sekunden lang vergebens abgewartet hatte, zuckte White erneut mit den Schultern und machte eine Kopfbewegung zum Aufzug hin. »Auf jeden Fall ist es ganz praktisch, daß ich Sie hier treffe. Das spart mir die Mühe, mich umständlich zu Ihrer Frau durchzufragen. Heute engagiere ich Sie einmal als Führer. «
    »Sie erwarten hoffentlich nicht, daß es genauso aufregend wird wie das letzte Mal«, murmelte Stefan. Der Witz klang ungefähr genauso schal in seinen eigenen Ohren wie der erste,

Weitere Kostenlose Bücher