Wolfsherz
garantiert den Polizeiwagen aufmerksam beobachten. Und die bloße Anwesenheit der Beamten bot keinen Schutz. Sie hatten schon einmal versucht, ihn auf offener Straße umzubringen. Sie hatten eine Bombe in einen Wagen gelegt, der praktisch am hellichsten Tag mitten in der Stadt explodiert war, und Stefan hätte seine rechte Hand verwettet, daß sie nicht einmal einen
Gedanken
daran verschwendet hatten, wie viele Unbeteiligte sie damit umbrachten. Sie würden auch keine Sekunde zögern, ihn auf dem Weg zum Streifenwagen zu erschießen. Oder auch, wenn er schon darin saß.
All die Überlegungen schössen Stefan innerhalb einer einzigen Sekunde durch den Kopf; schneller, als er sich bewegen und damit vielleicht einen Fehler machen konnte. Vielleicht rettete ihm das das Leben; wenn sie - wer immer sie auch sein mochten -noch in der Nähe waren, sogar ganz bestimmt. Stefan wich vorsichtig zwei Schritte weit in die Menschenmenge zurück, über die er sich zehn Sekunden zuvor noch empört hatte; jetzt war sie vielleicht seine einzige Chance. Er wagte es nicht, ins Haus zurückzukehren. Falls die Attentäter mitbekommen hatten, daß er noch am Leben war, würden sie dort zuallererst nach ihm suchen. Die vermeintliche Sicherheit seiner Wohnung hatte sich zusammen mit Roberts BMW in nichts aufgelöst.
Verstohlen sah er sich um. Der Fahrer des Polizeiwagens war mittlerweile auf den gegenüberliegenden Bürgersteig zurückgewichen, kam aber auch dort nur im Schrittempo voran. Die meisten Gaffer standen einfach nur herum, diskutierten, schrien durcheinander oder deuteten heftig gestikulierend auf die beiden brennenden Autowracks, aber einige wenige versuchten auch zu helfen: Zwei oder drei beherzte Männer hatten sich mit kleinen Feuerlöschern bewaffnet und versuchten das Feuer wenigstens daran zu hindern, sich noch weiter auszubreiten, und nur ein paar Schritte neben ihm schlug ein junger Mann mit irgendeinem Stoffetzen auf einen Reifen ein, der einen Spritzer brennendes Benzin abbekommen hatte. Stefan kannte kaum eines der Gesichter, in die er blickte. Zum erstenmal bedauerte er, so wenig Kontakt zu seinen Nachbarn zu pflegen. Ein paar der Leute, deren Gesichter ihm so unbekannt waren, konnte durchaus im selben Haus wie er wohnen. Oder vom anderen Ende des Kontinents kommen und eine entsicherte Maschinenpistole unter der Jacke tragen.
Er versuchte, irgendein auffälliges Gesicht in der Menge zu erkennen. Dunkles Haar. Slawische Züge. Und ein rotleuchtendes »M« für Mörder auf der Stirn? Oder ein »B«, wie Bombenleger?
Stefan sah ein, wie unsinnig das war. Wenn die Kerle wirklich noch hier waren, würde er sie erst dann bemerken, wenn sie ihm ein Messer in die Rippen jagten oder eine Pistolenkugel in den Kopf. Er mußte hier weg. Und das so schnell wie möglich.
Er wich zwei Schritte zur Seite aus und wich gleichzeitig, in einer Bewegung, die er zuvor sorgsam auf ihre Unauffälligkeit hin abwog, weiter zum Haus zurück. Er betrat es allerdings nicht, sondern ließ sich von der Bewegung der Menschenmenge ganz bewußt ein Stückweit mittragen, bis er nur noch wenige Schritte vom Ende des Blocks entfernt war. Noch fünf oder sechs Schritte: eine Ewigkeit, wenn einer der Attentäter die Straße beobachtete oder auch nur zufällig in seine Richtung blickte. Trotzdem widerstand er der Versuchung, sie rennend zurückzulegen, denn damit hätte er garantiert Aufmerksamkeit erregt, sondern legte sie mit schnellen Schritten zurück und bog ab, ohne sich noch einmal umzusehen. Sein Herz hämmerte. Er war sehr nervös, und jener so ungewohnte Mut, der ihm nun schon ein paarmal so nützlich gewesen war, weigerte sich noch immer hartnäckig, zurückzukehren.
Stefans Hand glitt in die Tasche und suchte einen kurzen, aber sehr unangenehmen Moment lang vergeblich darin, bis er endlich den Schlüsselbund fand. Er wagte es immer noch nicht, wirklich zu rennen, ging aber nun so schnell, wie er überhaupt konnte, ohne direkt in Laufschritt zu verfallen; eine Gangart, die ihn fast ebensoviel Kraft kostete, als wäre er wirklich gerannt. Als er den Golf erreichte, der knapp zweihundert Meter entfernt geparkt war, war er vollkommen außer Atem. Seine Hände zitterten so stark, daß er zweimal ansetzen mußte, um den Schlüssel ins Schloß zu bekommen und die Tür zu öffnen. Er stieg ein, schlug die Tür hinter sich zu und verriegelte sie, ehe er den Schlüssel ins Zündschloß steckte und erleichtert aufatmete.
Er war keineswegs in
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