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Wolfsherz

Wolfsherz

Titel: Wolfsherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Er wußte nur nicht, ob er sich über diese Erkenntnis freuen sollte.
    Eigentlich nur, um sich selbst zu beruhigen, fügte er mit einem angedeuteten Lächeln hinzu: »Ich bin wirklich sofort zurück. Ich muß nur etwas abholen, das ist alles.«
    Er gab ihr keine Gelegenheit, noch einmal zu widersprechen, sondern drehte sich um und ging mit schnellen Schritten zu den Aufzügen. Zwei der drei Kabinen waren da. Stefan trat mit einer raschen Bewegung in die kleinere der beiden Liftkabinen, drückte den Knopf für Beccis Etage und wartete voller Ungeduld, daß die Türen sich schlössen.
    Als sein Blick in den mannshohen Spiegel an der Rückwand fiel, erschrak er.
    Er sah in sein eigenes Gesicht, aber für einen Moment war es ihm, als sähe er unter seinen vertrauten Zügen noch etwas anderes, etwas vollkommen Fremdes und Wildes, das nicht wirklich sichtbar war, aber eindeutig
da
war. Etwas, das...
    Stefan schloß die Augen, zählte in Gedanken langsam bis drei, und als er die Lider wieder hob, war das Ungeheuer im Spiegel nicht mehr da. Und natürlich war es niemals dagewesen. Er war nervös. Seine Nerven begannen ihm böse Streiche zu spielen, und nach allem, was er durchgemacht hatte, hatten sie auch jedes Recht dazu.
    Stefan zog seinem eigenen Gesicht im Spiegel eine Grimasse, grinste dümmlich und drehte sich herum, als die Liftkabine mit einem sanften Ruck zum Stehen kam und die Türen aufglitten. Er sollte besser anfangen, sich ein paar Gedanken darüber zu machen, was er Rebecca sagen wollte.
    Er betrat die Station, steuerte mit raschen Schritten Rebeccas Zimmer an und wollte gerade die Hand nach der Türklinke ausstrecken, als die Tür von innen geöffnet wurde und Schwester Marion heraustrat. Sie hielt ein Kunststofftablett mit Medikamenten und fertig aufgezogenen Spritzen in der linken Hand, und ein einziger Blick in ihr Gesicht ließ jeden weiteren Blick in das Zimmer hinter ihr überflüssig werden.
    »Schon wieder?« fragte Stefan, ohne sich mit einer Begrüßung aufzuhalten,
    Schwester Marion seufzte. Sie sah jetzt nicht mehr halb verärgert und zugleich auch ein wenig amüsiert aus wie noch gestern, sondern auf eine resignierende Weise besorgt.
    »Ich war vor einer halben Stunde noch hier«, antwortete sie. »Sie muß sich unmittelbar darauf hinausgeschlichen haben. Ich habe es nicht einmal gemerkt.«
    »Ich werde ein ernstes Wort mit meiner Frau sprechen«, sagte Stefan, aber Schwester Marion schüttelte nur den Kopf.
    »Aber damit ist es nicht mehr getan, fürchte ich«, sagte sie. »Ich bekomme allmählich wirklich Arger, wissen Sie? Ganz davon abgesehen, daß Ihre Frau vollkommen unverantwortlich handelt. Sich selbst gegenüber.«
    Sie zog die Tür hinter sich zu, blickte stirnrunzelnd auf das Tablett in ihren Händen und drehte sich dann in die entgegengesetzte Richtung. »Am besten, ich laufe gleich hinüber in die Kinderklinik und hole sie zurück. Bevor es jemand merkt. Der Professor reißt mir den Kopf ab, wenn er erfährt, daß Ihre Frau schon wieder auf Reisen gegangen ist.«
    »Lassen Sie mich das tun«, sagte Stefan.
    »Was? Mir den Kopf abreißen?«
    Stefan lächelte. »Nein. Sie zurückholen. Niemand wird etwas erfahren, das verspreche ich.«
    Die Krankenschwester war einen Moment lang unschlüssig. Dann aber nickte sie. »Also gut. Ich rufe an und sage Bescheid, daß Sie kommen. Ich kenne die Nachtschwester dort drüben. Sie ist mir noch einen Gefallen schuldig. Kommen Sie.«
    Sie ging mit schnellen Schritte zum Schwesternzimmer, stellte ihr Tablett ab und wählte eine vierstellige Telefonnummer. Während sie dem Freizeichen lauschte, griff sie mit der anderen Hand in die Kitteltasche und zog einen Schlüsselbund hervor. »Nehmen Sie unseren Geheimgang«, sagte sie. »Vielleicht sieht Sie ja dann niemand... Sie wissen noch, wie?«
    »Der Heizungskeller?« Stefan nahm den Schlüsselbund entgegen und grinste. »Das trifft sich gut. So hört niemand ihre Schreie, wenn ich sie ein bißchen foltere, um ihr die Flausen auszutreiben.«
    Die Krankenschwester blieb ernst. »Sie können sie gar nicht so schlimm foltern, wie sie es schon selbst tut«, antwortete sagte. »Ihre Frau macht jeden Fortschritt zunichte, den ihre Heilung gemacht hat, nur weil sie sich einfach nicht schont.« Sie runzelte die Stirn, nahm den Telefonhörer vom Ohr und blickte ihn nachdenklich an. »Seltsam - es geht niemand dran.«
    »Wahrscheinlich sind sie alle damit beschäftigt, meine Frau einzufangen«, vermutete Stefan.

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