Wolfsherz
zwingen und nickte dem Polizisten dankbar zu. »Danke. Bitte entschuldigen Sie.«
Der Mann nickte, tippte mit zwei Fingern an den Rand einer Mütze, die er gar nicht trug, und kurbelte die Fensterscheibe wieder hoch. Die Ampel wechselte von Rot wieder auf Gelb, und der Streifenwagen brauste los, ehe sich auch nur ein Schimmer von Grün zeigen konnte.
Stefan atmete innerlich auf. Hätten die Beamten ihn angehalten, um seine Papiere zu kontrollieren, hätten sie ihn in eine ziemlich unangenehme Situation gebracht. Seine Brieftasche befand sich in seiner Jacke, die noch immer über der Lehne der Couch oben im Wohnzimmer hing, und das Risiko einer Personenüberprüfung konnte er nicht eingehen. Es war zwar unwahrscheinlich, daß irgend jemand den explodierten BMW bereits mit ihm in Verbindung gebracht hatte - aber in den letzten Tagen waren ihm eine Menge Dinge widerfahren, die eigentlich
recht unwahrscheinlich waren...
Während er vorsichtig weiterfuhr, fiel ihm erneut auf, wie hell die Nacht war. Am Himmel war keine einzige Wolke zu sehen, und der Mond, obwohl noch nicht einmal halb, strahlte wie ein Scheinwerfer, so daß er nur unwesentlich schlechter als am Tage sehen konnte. Kein Wunder, daß er vergessen hatte, das Licht einzuschalten!
Es war jetzt nicht mehr weit bis zur Klinik. Stefan achtete peinlich darauf, alle Verkehrsregeln einzuhalten und stets eine Kleinigkeit unter der erlaubten Höchstgeschwindigkeit zu bleiben - allerdings nicht weit genug, um gerade dadurch vielleicht aufzufallen. Trotzdem brauchte nur noch knapp zehn Minuten, bis er das Krankenhaus erreichte.
Er steuerte den Wagen nicht in die Tiefgarage, sondern direkt vor den Haupteingang. Eine Tiefgarage, das bedeutete nicht nur Dunkelheit und tausend gute Gelegenheiten für einen Hinterhalt, sondern im Moment vor allem eine Menge unangenehmer Erinnerungen. Wahrscheinlich würde er nie wieder in ein Parkhaus fahren können, ohne an diesen Tag erinnert zu werden.
Davon abgesehen gab es noch einen guten Grund, den Wagen hier abzustellen: Es konnte sein, daß sie die Klinik ziemlich rasch verlassen mußten. Die Arzte würden nicht sonderlich begeistert sein, wenn er ihnen ihre Patientin entführte, mitten in der Nacht und ohne Angabe irgendwelcher Gründe. Dom übrigens auch nicht. Und Rebecca wahrscheinlich am allerwenigsten. Möglicherweise würde sie sogar argwöhnen, daß er das alles nur erfunden hatte, um sie aus der Nähe des Kindes wegzuschaffen.
Ste/an
Mewes gegen den Rest der Welt,
dachte er spöttisch. Und dabei hatte es noch nicht einmal richtig angefangen! Er wußte immer noch nicht genau, wer die Männer eigentlich waren, die ihn umbringen wollte. Von dem
Warum ganz
zu schweigen...
Er parkte den Wagen so, daß er gerade außerhalb des hell erleuchteten Bereiches vor der Glasfront stand, stieg aus und betrat mit möglichst sicheren Schritten das Krankenhaus. Er war nicht der einzige Besucher. Trotzdem stand eine der beiden Schwestern hinter dem Empfang bei seiner Annäherung auf und sah ihn auf eine Art an, die es ihm unmöglich machte, so zu tun, als hätte er es nicht bemerkt. Bevor er auch nur ein Wort sagen konnte, begann sie in scharfem Ton:
»Sie können dort nicht parken.«
»Ich bleibe nur zehn Minuten«, antwortete Stefan, »vielleicht sogar weniger.« »Das spielt keine Rolle«, beharrte sie. »Der Wagen muß dort weg. Wenn Sie ihn nicht wegfahren, muß ich den Abschleppdienst rufen.«
Das war es, was sie sagte. Aber ihre Stimme und etwas in ihren Augen erzählten Stefan ungleich mehr: Sie war nervös. Sein vermeintlich unverfrorenes Verhalten hatte sie viel mehr erschreckt als empört, und die Autorität in ihrer Stimme war keine, sondern ein Zeichen der Unsicherheit.
»Ich kann Sie nicht daran hindern«, antwortete er ruhig. »Aber ich fürchte, ich werde bereits wieder weg sein, ehe der Abschleppwagen eintrifft.«
Ein einziger Blick in ihre Augen machte ihm klar, daß er gewonnen hatte. Die Schwester starrte ihn regelrecht schockiert an, aber er wußte auch, daß sie den Abschleppdienst nicht rufen würde, weil sie Angst hatte, daß er recht haben und sie jede Menge Scherereien am Hals haben könnte, wenn sie den Abschleppdienst bestellte und kein Wagen mehr da war, den man abschleppen konnte. Und Angst vor ihm. Nicht vor ihm persönlich, aber vor Menschen
wie ihm.
Stefan wußte nicht genau wann, aber er begriff plötzlich, daß er irgendwann in den letzten zwei Tagen die Liga gewechselt hatte, in der er spielte.
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