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Wolfsherz

Wolfsherz

Titel: Wolfsherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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»Ich beeile mich. Ehrenwort.«
    Er fühlte sich nicht besonders wohl, als er das sagte. Er würde sich tatsächlich beeilen, um zu Rebecca zu kommen - aber nicht, um sie zurückzubringen. Schwester Marion würde am nächsten Morgen tatsächlich eine Menge zu erklären haben. Aber er nahm sich fest vor, dafür zu sorgen, daß sie keinen Ärger bekam.
    Stefan steckte den Schlüsselbund ein, verließ das Schwesternzimmer, drehte sich zu den Aufzügen herum und sah gerade noch, wie eine schlanke
    Mädchengestalt mit schulterlangem, wildem schwarzem Haar und ausgeflippter Kleidung in einer der Kabinen verschwand. Er konnte ihr Gesicht nicht erkennen.
    Stefan stand eine Sekunde lang wie vom Donner gerührt da, aber dann stürmte er los und rannte so schnell auf die Aufzüge zu, wie er konnte. Die Türen der Kabine schlössen sich bereits. Vorhin, als er im Foyer darauf gewartet hatte, hatten sie sich scheinbar nur im Schneckentempo bewegt; jetzt schien ihr Tempo irgendwie mit dem seiner eigenen Schritte gekoppelt zu sein. Er wußte, daß er es nicht scharfen würde.
    »He!« rief er. »Warten Sie!«
    Er bekam keine Antwort, legte einen fast verzweifelten Endspurt ein und erreichte den Aufzug genau im richtigen Moment, um die Türen scheinbar mit der Wucht einer Bärenfalle unmittelbar vor sich zuschnappen zu sehen; ungefähr eine Zehntelsekunde, bevor er wenigstens noch einen Blick in die Kabine dahinter werfen konnte.
    »Verdammt!« Stefan schlug wütend mit der flachen Hand gegen die Aufzugtür. Der Knall explodierte mit der Lautstärke eines Pistolenschusses auf dem stillen Krankenhausflur, aber Stefan mußte sich trotzdem mit aller Macht beherrschen, um nicht noch einmal und jetzt mit der geballten Faust zuzuschlagen. Seine Enttäuschung schlug jäh und so warnungslos in Wut um, daß er für Sekunden vollkommen hilflos dagegen war. Er konnte hören, wie sich die Liftkabine in Bewegung setzte, und selbst dieses Geräusch erfüllte ihn mit neuerlichem Zorn, denn es schien ihn eindeutig zu verspotten.
    Sein Zorn verrauchte allerdings genausoschnell, wie er gekommen war. Zurück blieb ein Gefühl von Leere, die sich nur allmählich mit Verwirrung und dann Schrecken füllte.
    Hastig trat er einen Schritt von der Aufzugtür zurück und sah sich um. In einigen Metern Entfernung hatte sich eine Tür geöffnet, und ein junger Mann in weißer Krankenhauskleidung blickte fragend, aber auch eindeutig vorwurfsvoll zu ihm heraus. Stefan spürte, daß er einige Erfahrung im Umgang mit Situationen wie dieser hatte.
    »Schon gut. Eine Verwechslung. Es tut mir leid.« Stefan nahm die Herausforderung im Blick des Pflegers nicht an, sondern hob die Hände, trat rasch an die benachbarte Liftkabine und drückte den Rufknopf. Er konnte hören, wie sich der Aufzug nur eine Etage unter ihm in Bewegung setzte. Der junge Mann sagte immer noch nichts, aber er trat auch nicht wieder in sein Zimmer zurück, sondern blieb reglos stehen, bis der Aufzug gekommen war und Stefan hineintrat.
    Die zehn Minuten, von denen Stefan vorhin am Empfang gesprochen hatte, mußten längst verstrichen sein, als er im Erdgeschoß der Kinderklinik aus dem Keller kam und sich den Aufzügen näherte. Zu seiner Erleichterung war der Platz hinter dem Empfang nicht besetzt, so daß er wenigstens nicht in die Verlegenheit kam, sich irgendeine fadenscheinige Erklärung für sein unkonventionelles Auftreten einfallen lassen zu müssen, und so noch mehr Zeit verlor.
    Zeit war im Moment vielleicht der wichtigste Faktor. Er war längst nicht mehr hundertprozentig davon überzeugt, daß es wirklich Sonja gewesen war, die er gerade im Aufzug gesehen hatte - aber er war auch ganz und gar nicht sicher, daß sie es nicht gewesen war. Und so, wie die Dinge lagen, tat er vermutlich gut daran, vom schlimmstmöglichen Fall auszugehen, statt vom wahrscheinlichen; nämlich dem, daß Sonja und ihre beiden unheimlichen Brüder ihm trotz aller Vorsicht hierher gefolgt waren, und daß sie seine Unterhaltung mit Schwester Marion belauscht hatte und nun wußte, wo Rebecca zu finden war. Und das Kind.
    Trotzdem hatte er einen unbestreitbaren Vorteil auf seiner Seite: Er war auf dem schnellstmöglichen Weg hierhergekommen. Selbst wenn Sonja rannte, würde sie viel länger brauchen, um die Kinderklinik zu erreichen, und vermutlich auch eine ganze Weile, um die beiden überhaupt zu finden. Das Klinikgelände hatte die Abmessungen eines kleinen Dorfes, und es war nach einer für einen

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