Wolfsherz
aufgerissen. Ein gut faustgroßes Stück aus ihrem Hals war einfach nicht mehr da.
Wenigstens war es schnell gegangen, dachte Stefan betäubt. Der Ausdruck in Danutas gebrochenen Augen war unheimlich, aber nicht der großer Qual. Selbst wenn sie nicht sofort gestorben, sondern erstickt war, war der Schock garantiert so groü gewesen, daß sie keine Schmerzen gespürt hatte.
Zitternd richtete er sich auf. Seine Hände waren voller halb geronnenem Blut, dessen Geruch ihn fast um den Verstand brachte. Angeekelt wischte er sich die Finger an der Hose ab, während er sich in dem kleinen, vollkommen verwüsteten Raum umsah.
Schwester Danuta war nicht die einzige Tote. Neben dem Fenster lag der verkrümmte Körper eines dunkelhaarigen Mannes, der einen hellen Sommeranzug, weißes Hemd und Krawatte trug. Eines der Gläser seiner Sonnenbrille war zersplittert, und dahinter gähnte eine feuchte, dunkelrote Höhle. Stefan vermutete, daß es sich um den Mann handelte, den White zu Rebeccas Schutz abgestellt hatte, denn seine rechte Hand umklammerte eine Pistole.
Der dritte Tote im Raum schließlich trug abgewetzte, schäbige Kleidung - grobe Cordhosen, wie Stefan sie das letzte Mal vor mindestens zehn oder zwölf Jahren gesehen hatte, ein billiges weißes Nylonhemd und absolut nicht dazu passende, geschnürte Springerstiefel. Auch neben ihm lag eine Pistole; ein irgendwie exotisch aussehendes Exemplar, das durch den aufgeschraubten, übergroßen Schalldämpfer noch fremdartiger und bizarrer wirkte. Der Schalldämpfer erklärte zumindest, warum niemand die Schüsse gehört hatte, mit denen Wallberg und die anderen getötet worden waren. Es gab allerdings keine Antwort auf die brennendste Frage, die sich Stefan stellte: Wo waren Rebecca und das Kind?
Evas Bett war umgestürzt und zerbrochen, wie fast alles hier drinnen. Stefan wußte nicht, wie lange der Kampf angedauert hatte, aber er mußte furchtbar gewesen sein. Wer oder was auch immer Schwester Danuta und die beiden Männer getötet hatte, hatte den Raum in einen modernisierten Ausschnitt der Felder von
Verdun verwandelt.
Stefan bückte sich nach dem Toten, streckte die Hand nach seiner Waffe aus und zog sie wieder zurück. Er hatte das sichere Gefühl - nein, er
wußte -,
daß er eine Waffe brauchen würde, aber die des Toten war mit dem aufgeschraubten Schalldämpfer fast so lang wie ein kleines Gewehr und wog wahrscheinlich auch genausoviel. Außerdem war er nicht einmal sicher, ob er damit umgehen konnte.
Statt dessen nahm er die Waffe des anderen Toten an sich; eine ganz normale Pistole, wie er sie aus tausend amerikanischen Polizeifilmen kannte. Er überzeugte sich davon, daß sie gesichert war, und schnupperte am Lauf. Stefan hatte keine Ahnung, wie Schießpulver roch, aber da er gar nichts roch, nahm er an, daß sie auch nicht abgefeuert worden war. Der arme Kerl hatte noch Gelegenheit gefunden, seine Waffe zu ziehen, aber nicht, sie zu benutzen.
Was, um alles in der Welt, war hier passiert?
Stefan schob die Pistole unter den Hosenbund, ging noch einmal zu dem anderen Toten zurück und kämpfte Ekel und Entsetzen mit einigen Mühen weit genug zurück, um ihn zu berühren und zumindest flüchtig durchsuchen zu können.
Das Ergebnis war mehr als mager: zwei Ersatzmagazine für die Pistole, ein billiges Wegwerf-Feuerzeug und eine Packung Zigaretten ohne Steuermarke. Stefan fand keinerlei Papiere, und auch nichts anderes, das irgendeinen Aufschluß über die Identität des Toten zugelassen hätte. Dieser Umstand überraschte ihn nicht im geringsten, aber er gab seiner Besorgnis noch einmal zusätzliche Nahrung; denn er war ein weiteres Indiz für etwas, was Stefan im Grunde schon längst wußte: Die Männer, mit denen er es zu tun hatte, waren keine dahergelaufenen Freizeit-Schläger, sondern Profis.
Aber wer hatte sie getötet?
Stefan durchsuchte auch den zweiten Toten, aber das Ergebnis war nur scheinbar aufschlußreicher. Die Taschen des Mannes waren nicht so pedantisch leergeräumt wie die des anderen Toten. Eine Menge Krimskrams, der keinerlei Aufschluß über die Identität seines Besitzer gab. Geschweige denn darüber, was sie mit Rebecca und dem Kind gemacht hatten.
Zumindest waren sie noch am Leben. Der Raum stank nach Tod, aber er konnte diesen Geruch eindeutig zuordnen. Er gehörte Danuta und den beiden Fremden. Stefan hatte es längst aufgegeben, sich den Kopf über das Woher und Wieso all dieser neuen Empfindungen und Gefühle zu zerbrechen,
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