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Wolfsherz

Wolfsherz

Titel: Wolfsherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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welche sein Bewußtsein mit einem Male überschwemmten. Aber er hätte es einfach gewußt, wäre hier drinnen noch ein weiterer Mensch gestorben. Und für den Moment gab er sich damit zufrieden, dieses Wissen einfach zu akzeptieren. Wichtig war jetzt einzig, Becci und das Kind zu finden. Stefan hatte nicht die leiseste Ahnung wie, aber er vertraute einfach auf seine neu gewonnenen Fähigkeiten. Welche andere Wahl hatte er auch schon?
    Nicht, weil er wirklich mit irgendeinem Erfolg rechnete, sondern nur, um sich selbst hinterher sagen zu können, daß er es wenigstens
versucht
hatte, ging er zum Telefon und hob ab. Die Leitung war so tot wie alle anderen in diesem Teil des Gebäudes. Er hatte nichts anderes erwartet.
    Als Stefan das Zimmer verließ, fiel ihm eine Anzahl kleiner, unregelmäßiger Spuren auf, die aus der Blutlache unter Danutas reglosem Körper hinaus in den Vorraum und dann nach rechts auf den Korridor führten. Sie waren verwischt und unvollständig, und er war kein Spezialist im Spurenlesen, so daß er nicht sagen konnte, um welche Spuren es sich handelte. Aber es waren eindeutig nicht die Spuren eines Menschen, sondern eines Tieres.
    Tief in ihm - wenn auch nicht annähernd so tief, wie ihm lieb gewesen wäre - schlummerte auch das Wissen,
wekhes
Geschöpf solche Spuren hinterließ, aber Stefan war nicht in der Verfassung, sich jetzt auch noch mit
diesem
Gedanken auseinanderzusetzen. Rasch trat er wieder auf den Flur hinaus, drehte sich nach rechts und verließ die Intensivstation.
    Vor den Aufzügen stand eine junge Frau in einer Schwesterntracht. Offensichtlich war sie noch nicht auf den Trick mit dem Pflasterstreifen gekommen, denn sie sah ziemlich verärgert aus, aber auch ein bißchen verwirrt. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht änderte sich jedoch schlagartig, als sie das Geräusch der Tür hörte und sich zu Stefan herumdrehte.
    »Was -?« begann sie erschrocken.
    »Verschwinden Sie von hier!« fiel Stefan ihr ins Wort. »Schnell! Und rufen Sie die Polizei! Es hat einen Mord gegeben! «
    Die Krankenschwester starrte ihn noch eine Sekunde aus aufgerissenen Augen an, aber sie wurde weder hysterisch, noch rannte sie kopflos davon, sondern sie reagierte mit erstaunlicher Kaltblütigkeit: Schnell, aber keineswegs in Panik, drehte sie sich um und ging auf die Zwischentür zu einer anderen Abteilung zu.
    »Schließen Sie ab!« rief Stefan ihr nach. »Und machen Sie nicht auf, bevor die Polizei da ist.«
    Er bezweifelte, daß sie seinem Rat folgen würde, aber das spielte auch keine Rolle. Er brauchte ein paar Sekunden, um von hier zu verschwinden, das war alles.
    Stefan sah sich nachdenklich auf dem langen, plötzlich wieder unheimlich stillen Korridor um. Seine Sinne arbeiteten noch immer mit jener unnatürlichen Schärfe, aber sie nützten ihm im Moment nichts. Er spürte, daß Rebecca und das Mädchen nicht in seiner unmittelbaren Nähe waren, aber das war auch schon alles.
    Andererseits gab es nicht besonders viele Möglichkeiten, die Etage zu verlassen. Die Aufzüge waren blockiert, und hätte Rebecca die Treppe genommen, wäre er ihr dort begegnet. Möglicherweise hatte sie sich irgendwo hier versteckt - aber das hätte einfach nicht zu ihr gepaßt. Es war niemals Beccis Art gewesen, sich zu verstecken und mit angehaltenem Atem darauf zu hoffen, daß schon nichts passieren würde. Es mußte noch einen anderen Weg geben, dieses Stockwerk zu verlassen.
    Der Korridor endete zur Rechten vor der Tür, durch die die Schwester verschwunden war. In der anderen Richtung vollführte er einen scharfen Knick, der in den kürzeren Teil des L-förmigen Gebäudes führte. Unmittelbar hinter der Biegung fand Stefan einen weiteren, sehr viel größeren Aufzug. Die Türen waren geschlossen, aber als er den Knopf drückte, leuchtete das grüne Licht daneben auf, und er konnte hören, wie sich die Kabine weit unter ihm in Bewegung setzte.
    Es vergingen nur wenige Augenblicke, bis der Aufzug kam, und noch bevor sich die Türen vollkommen geöffnet hatten, wußte er, daß Rebecca damit gefahren war. Es gab nicht den geringsten Zweifel daran. Die große, rundum verchromte Kabine war so mit Rebeccas Präsenz erfüllt, daß er sie fast
sehen
konnte. Becci war hier gewesen, vor wenigen Minuten erst; in Panik aufgelöst, der Hysterie näher als auch nur der Ahnung einer Idee, wie sie aus dieser Falle entkommen sollte, und so voller Angst...
    Außerdem lag ihr Rollstuhl unmittelbar hinter der Tür.
    Er war umgestürzt.

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