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Wolfsherz

Wolfsherz

Titel: Wolfsherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Hand kam ihm plötzlich noch nutzloser und alberner vor. Vermutlich so nutzlos und albern, wie sie auch war.
    Als er sich wieder aufrichten wollte, fielen ihm die Spuren auf. Sie gehörten nicht zu einem Menschen, und sie führten direkt aus der noch immer größer werdenden Blutlache heraus und verschwanden hinter einer von zwei Türen auf der anderen Seite des Korridors. Stefan mußte keine Sekunde lang darüber nachdenken, zu welchem Geschöpf diese Spuren gehörten. Noch vor zwei Tagen hätte er ganz sicher angenommen, der Fährte eines besonders großen Hundes gegenüberzustehen. Jetzt wußte er es besser.
    Seine Vernunft meldete sich noch ein allerletztes Mal zu Wort: Natürlich
war
es ein Hund gewesen - was denn sonst? Die Erklärung lag sogar ganz deutlich auf der Hand: Der Mann, den White zu Rebeccas Schutz abgestellt hatte, hatte einen Hund bei sich gehabt, und nach dem Tod seines Herrn lief dieses Tier nun Amok und tötete die, die seinen Herrn umgebracht hatten.
    Das klang ungefähr genauso logisch wie jene andere, viel erschreckendere Erklärung, die hinter der immer rascher zerbröckelnden Mauer seiner Vernunft lauerte. Stefan verjagte den Gedanken, schob die Pistole wieder unter den Gürtel und sah jeweils eine Sekunde nach rechts und links, ehe er sich der Tür zuwandte, hinter der die blutigen Spuren verschwanden. Er wußte, wo er war, auch wenn er diesen Teil des Kellers noch nie zuvor betreten hatte. Die grundlegende Architektur dieses Gebäudes war in allen Stockwerken gleich. Wenn er sich nach rechts wandte und an der ersten Gangkreuzung abbog, würde er zu den Besucheraufzügen gelangen, und damit der Verbindungstür zu dem Gewirr aus Servicestollen und Heizungskellern, durch das er selbst hierhergekommen war. Mit Sicherheit hatte Rebecca ganz instinktiv versucht, das Gebäude auch auf diesem Wege wieder zu verlassen. Die blutigen Tierspuren hinter ihm behaupteten das Gegenteil, aber Stefan vergeudete nicht einmal einen weiteren Blick an sie. Nichts von alledem hier hatte noch das geringste mit Logik zu tun, sondern nur noch mit Instinkten, Gefühlen und Eingebungen. Wenn er überhaupt eine Chance haben wollte, diesen Irrsinn zu überstehen, dann bestand sie darin, sich ganz auf seine Instinkte zu verlassen.
    Er eilte zur Gangkreuzung, bog nach rechts ab und fand die Verbindungstür zum Kellertrakt, wie erwartet, unverschlossen. Er war hundertprozentig sicher, sie hinter sich wieder abgeschlossen zu haben, und die Konsequenz dieser Überzeugung war ziemlich erschreckend - sie bedeutete nicht weniger, als daß Rebecca genau in jenen Momenten um ihr Leben gerannt war, in dem er sich auf dem Weg nach oben befunden hatte. Er empfand bei diesem Gedanken ein absurdes Gefühl von Schuld; sinn- und nutzlos, aber quälend.
    Der Gang auf der anderen Seite der Feuerschutztür war hell erleuchtet und vollkommen leer. Keine Spuren. Kein Blut. Kein Laut. Trotzdem wußte er, daß Rebecca hiergewesen war, vor allerhöchstens fünf Minuten. Es war, als könne er ihre Anwesenheit... wittern?
    So leise wie möglich zog er die Tür wieder hinter sich zu, sah sich noch einmal stehend um und schloß die Augen, um zu lauschen.
    Im ersten Moment hörte er nichts. Das heißt, nichts war nicht das richtige Wort. Er hörte
zu viel.
Die sonderbare, unnatürliche Schärfe seiner Sinne schien noch einmal zugenommen zu haben, so daß Hunderte von winzigen, zum Teil nie gehörten Lauten aus allen Richtungen zugleich auf ihn einzustürzen schienen, vom hektischen Ticken seiner eigenen Armbanduhr bis hin zu dem geheimnisvollen Wispern der Computer, welche die unterirdische Technik rings um ihn herum steuerten.
    Es war wie eine Sturmflut: ein kreischendes Crescendo, das in seiner Gesamtheit jeden einzelnen Laut einfach erstickte. Er konnte nicht sagen, welcher Laut woher kam, welche Bedeutung und welche Wertung er hatte. Dann aber ertönte inmitten dieses Chaos ein spitzer, abgehackter Schrei, und im gleichen Sekundenbruchteil, in dem er ihn erkannte, geschah etwas beinahe Unheimliches: Es war, als würde irgendwo tief in Stefans Bewußtsein ein bisher verborgener Schalter umgelegt.
    Plötzlich war alles anders. Stefan hörte noch immer jeden noch so kleinen Laut, roch und spürte noch immer Dinge, die er sich noch vor Minuten nicht einmal hatte
vorstellen
können, aber zugleich schien sich auch fast so etwas wie ein Filter über seine so unnatürlich scharfen Sinne zu legen, der nur noch Informationen von wirklicher Relevanz

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