Wolfsherz
als sanft, das
konnte
er nicht sein. Ihr Gesicht kollidierte unsanft mit dem Türrahmen, und sie fiel mehr in den Wagen, als sie einstieg.
Eva tobte immer heftiger. Ihre Schreie waren schrill und jetzt eindeutig hysterisch, und ihre Fingernägel hatten blutige Spuren in Rebeccas Gesicht hinterlassen. Nichts von alledem spielte eine Rolle. Sie mußten weg von hier, bevor die Dunkelheit auf der anderen Seite etwas ausspie, das vielleicht schlimmer war als der Tod.
Stefan schlug die Tür zu, rammte den Gang hinein und ließ den Wagen mit durchgedrehten Reifen losrasen.
In der nächsten Sekunde trat er so hart auf die Bremse, daß Rebecca mit Eva hart gegen das Armaturenbrett geschleudert wurde. Eva stieß ein ersticktes Keuchen aus und hörte endlich auf zu schreien, und Stefan verspürte einen heftigen Schmerz in beiden Handgelenken, als er versuchte sich am Lenkrad abzustützen. Der Motor ging aus.
Zehn Meter vor dem Wagen stand eine Gestalt. Wie das Ding vorhin hinter der Tür stand sie gerade außerhalb des Bereiches, in dem er
wirklich
etwas sehen konnte, und genau wie vorhin fügte seine Phantasie das, was nicht zu sehen war, in höchst unerwünschtem Maße hinzu.
Immerhin konnte er erkennen, daß die Gestalt sehr klein war und ziemlich schlank, eher die Umrisse eines Kindes als die eines Erwachsenen, und ganz gewiß kein Dämon. Es war die Art wie sie dastand, die ihn mit einem eisigen Schrecken erfüllte: ruhig, hoch aufgerichtet und auf eine unbestimmte Art drohend, als gäbe es nichts auf der Welt, das irgendeine Gefahr für sie darstellte - schon gar nicht ein heranrasender Wagen.
Rebecca stemmte sich mühsam wieder in ihrem Sitz hoch. »Was ist das?« flüsterte sie. »Stefan, wer... wer ist das?!«
Stefan antwortete nicht, obwohl er die Antwort zu kennen glaubte. Er streckte die Hand nach dem Zündschlüssel aus, zog sie dann wieder zurück und verriegelte beide Türen, ehe er den Motor wieder startete. Nicht, daß es etwas nützen würde. Ganz bestimmt nicht. Die Mächte, mit denen sie sich eingelassen hatten, ließen sich gewiß nicht durch ein bißchen Metall und Glas aufhalten. Trotzdem fühlte er sich ein wenig sicherer.
Dieses Mal erfüllte der Motor seine Erwartungen und sprang erst nach dem dritten Versuch an. Stefan legte behutsam den ersten Gang ein, ließ den Wagen zwei oder drei Meter weit rollen und kam endlich auf den Gedanken, das Licht einzuschalten. Aus dem Schatten einer ganz anderen Welt wurde die Gestalt eines schlanken, dunkelhaarigen Mädchens, das ruhig dastand und, ohne zu blinzeln, in das grelle Scheinwerferlicht starrte. Sonja.
Rebecca keuchte. Stefan trat die Kupplung wieder durch und ließ den Motor schrill aufheulen, aber Sonja rührte sich nicht. Stefan konnte ihr Gesicht im grellen Scheinwerferlicht nicht einmal richtig erkennen, aber er las die Botschaft, die in ihren Augen geschrieben stand, so deutlich, als hörte er ihre Stimme direkt in seinem Kopf. Ihm blieb nur eine einzige Konsequenz.
Er gab noch mehr Gas, ließ die Kupplung springen und klammerte sich in Erwartung des Zusammenpralls mit aller Kraft am Lenkrad fest. Der Golf machte einen Satz, der einem Forme 1-Rennwagen zur Ehre gereicht hätte, schoß aufkreischenden Reifen auf das dunkelhaarige Mädchen zu und begann zu schlingern. Sonjas Gestalt schien plötzlich die gesamte Windschutzscheibe auszufüllen, und er war sicher, vollkommen
sicher,
daß er sie treffen würde.
Vielleicht traf er sie sogar. Er wußte es nicht. Der Wagen schlingerte wild hin und her, versuchte immer heftiger auszubrechen und reagierte mit wilden Stößen auf die grobe Behandlung; er konnte nicht sagen, ob einer der harten Schläge, die er im Lenkrad spürte, vielleicht von Sonjas zerschmettertem Körper stammte, über den der Wagen hinwegschoß. Es war ihm auch gleich. Er
wünschte
sich fast, sie erwischt zu haben.
Obwohl er gleichzeitig wußte, daß es nichts genützt hätte.
Der Wagen wurde immer schneller. Der Motor heulte mittlerweile so schrill, als wollte er jeden Moment auseinanderfliegen. Stefan schaltete, ohne den Fuß vom Gas zu nehmen, kurbelte wie wild am Lenkrad und brachte endlich den Mut auf, in den Rückspiegel zu blicken.
Er hatte Sonja nicht erwischt. Sie war wieder zu einem Schatten geworden, aber sie hatte sich herumgedreht und sah ihnen nach, und sie stand noch immer in der gleichen Haltung und an der gleichen Stelle da wie vorhin.
Als wäre sie nur ein Gespenst, durch das der Wagen einfach
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