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Wolfsherz

Wolfsherz

Titel: Wolfsherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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erinnerte Becci.
    »Das bedeutet gar nichts«, antwortete Wissler. »Barkow bedeutet ein Menschenleben nichts. Er hat Hunderte von Menschen töten lassen und vermutlich Dutzende mit eigenen Händen umgebracht. Vergessen Sie das nie! Keine Sekunde lang!« Er atmete hörbar ein, als hätte er etwas gesagt, was ihm sehr schwer fiel, aber zugleich auch zu wichtig war, um es für sich zu behalten. Dann drehte er sich mit einer ruckartigen Bewegung herum und deutete auf das Haus.
    Sie folgten ihm, aber Stefan warf zuvor noch einmal einen aufmerksamen Blick in die Runde. Die Jeeps standen nur wenige Meter hinter ihnen. Ihre Begleiter waren bei den Fahrzeugen zurückgeblieben, rauchten und unterhielten sich in rohem Ton. Einige lachten, und alle bemühten sich krampfhaft, nicht in ihre Richtung zu blicken. Natürlich erreichten sie damit das genaue Gegenteil. Stefan war klar, daß Rebecca, Wissler und er keinen Atemzug taten, der nicht von einem halben Dutzend Augenpaaren registriert wurde.
    Die Haustür wurde von einem Mann in einem weißen Tarnanzug geöffnet, gerade als Wissler die Hand danach ausstrecken wollte. Er war nicht bewaffnet. Anders als ihre Begleiter trug er nicht die sonst allgegenwärtige Kalaschnikow über der Schulter, und seine bauschige weiße Jacke stand offen, so daß sie erkennen konnten, daß er auch keinen Pistolengürtel trug. Aber vielleicht war es gerade das, was ihn auf eine schwer greifbare Art drohender wirken ließ. Während Stefan an ihm vorbeiging, wurde ihm der Unterschied bewußter: Die Kerle dort draußen nannten sich vielleicht Partisanen, aber sie waren nichts anderes als ein zusammengewürfelter Haufen von Räubern und Mördern. Dieser Mann hier war ein Soldat. Vermutlich war er allein gefährlicher als der gesamte Haufen dort draußen.
    Wissler wechselte einige Worte auf russisch mit dem Soldaten. Dieser antwortete in derselben Sprache, schloß die Tür hinter Rebecca und ging dann voraus. Das Haus war im Innern nicht nur erstaunlich groß, sondern beinhaltete noch eine weitere Überraschung: Es gab elektrisches Licht. Unter der Decke hing eine nackte Glühbirne, die von einem daumendicken Kabel mit Strom versorgt wurde. Irgendwo in einem anderen Teil des Hauses tuckerte ein Generator.
    Ihr Führer ging einige Schritte voraus, dann blieb er stehen, deutete auf eine niedrige Tür am Ende des Korridors und trat gleichzeitig einen Schritt zur Seite. Wissler öffnete kommentarlos die Tür und trat hindurch.
    Stefans Herz begann zu klopfen, als er ihm folgte. Er war sehr aufgeregt, und er hatte nun wirklich Angst, und er gestand es sich sogar ein. Er gestand sich noch etwas ein: Sie hätten niemals hierherkommen sollen. Großer Gott - riskierte er tatsächlich sein und Beccis Leben, nur um mit einem Psychopathen zu reden?
    Besagter Psychopath war allerdings nicht anwesend. Der Raum war nicht besonders groß und leer bis auf einen einfachen Holztisch mit einem halben Dutzend dazu passender Stühle. In der gegenüberliegenden Wand gab es drei überraschend große Fenster, die zwar mit Brettern vernagelt waren, früher aber einen Panoramablick über alles, was dahinter lag, geboten haben mußten. Es hätte des hohlen Klanges, den ihre Schritte auf dem Boden hervorriefen, nicht mehr bedurft, um Stefan begreifen zu lassen, wo sie waren.
    Er sah beunruhigt nach unten. Die Dielen waren größtenteils neu und machten einen äußerst massiven Eindruck, aber sie waren nicht sehr sorgsam verlegt. Durch die zum Teil fingerbreiten Ritzen quoll Dunkelheit wie ein schwarzer Sirup, begleitet von einem eisigen Luftzug, in dem vereinzelte Schneeflocken tanzten. Die Bretter sahen stabil genug aus, um einen Panzer zu tragen. Trotzdem hatte er das Gefühl, sich auf einer dünnen Eisdecke zu bewegen, die unter seinen Schritten hörbar knisterte.
    »Barkows Lieblingszimmer«, sagte Wissler, der seinen Blick richtig gedeutet hatte.
    Stefan sah ihn stirnrunzelnd an. »Ich dachte, Sie wären noch niemals hiergewesen?«
    »Das bedeutet nicht, daß ich nichts über ihn weiß, oder?« Wissler machte eine Geste, das Thema zu wechseln, als auf der anderen Seite der Tür Schritte laut wurden, und trat zur Seite. Wenige Sekunden darauf wurde die Tür geöffnet, und Barkow trat ein, gefolgt von dem Mann in der weißen Jacke.
    Auch ohne die makellose Majorsuniform hätte Stefan sofort gewußt, wen er vor sich hatte. Barkow entsprach so sehr dem Klischee eines Offiziers der Roten Armee, daß es schon fast grotesk wirkte: Er

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