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Wolfsherz

Wolfsherz

Titel: Wolfsherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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plötzlich zu hundert Prozent wach, und zu zweihundert Prozent Reporter. Früher war sie immer so gewesen, aber in den letzten Jahren hatte er sie nur noch selten so erlebt.
    »Ich brauche jemanden wie Sie«, fuhr Barkow fort. »Die Informationen, die ich Ihnen geben werde, werden für Aufsehen sorgen. Man wird vielleicht versuchen, sie unter Druck zu setzen. Sie zu bedrohen.« Er hob die Hände, als Rebecca etwas sagen wollte. »Verschonen Sie mich mit irgendwelchen Vorträgen über Ihre vielgerühmte westliche Pressefreiheit. Damit ist es nicht viel weiter her als mit der im Osten, auch wenn Sie das nicht wahrhaben wollen. Ihre berühmten Kollegen haben nicht genug zu verlieren, um jedes Risiko einzugehen. Sie schon.«
    »Und der andere Grund?« fragte Stefan.
    Die Tür ging auf. Der Soldat kam zurück und legte eine abgewetzte braune Aktentasche vor Barkow auf den Tisch. Der Major wartete, bis er seinen Platz an der Tür wieder eingenommen hatte, ehe er antwortete:
    »Zeit.«
    »Zeit?«
    »Ich mußte mich schnell entscheiden«, sagte Barkow. »Die Auswahl war nicht groß, in der Kürze der Zeit. Bitte nehmen Sie das nicht persönlich.« Er schob mit der Linken die Aktentasche über den Tisch, ließ die Hand aber darauf liegen, als Stefan danach greifen wollte.
    »Was ist das?«
    »Beweise«, antwortete Barkow. »Fotografien, Tonbänder, Kopien von Schriftstücken... alles, was Sie brauchen, um das, was ich zu erzählen habe, zu untermauern. Der Schlüssel zu Ihrem Pulitzer-Preis. Oder Ihr Todesurteil.«
    Stefan starrte die Mappe wie betäubt an. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was sie wirklich enthalten mochte - oder doch; aber er
wagte
nicht, zu hoffen, daß das alles wahr sein könnte -, aber eines begriff er sehr deutlich, und jenseits aller Zweifel: Es war ganz anders, als sie beide geglaubt hatten. Barkow hatte ihnen dieses Interview nicht gewährt, um seinem eigenen Ego zu schmeicheln, oder aus einem Anfall von Größenwahn heraus. Er hatte sie hierherzitiert, weil sie etwas für ihn tun konnten. Seltsamerweise machte ihm diese Erkenntnis den Russen eher sympathischer. Sie beantwortete eine Menge Fragen.
    »Sagen Sie mir, Frau Mewes«, fuhr Barkow fort, jetzt wieder an Becci gewandt, »wofür halten Sie mich? Für einen Verbrecher? Für einen Söldner? Oder einfach für einen Wahnsinnigen?«
    Rebecca bewegte sich unbehaglich, streckte die Hand nach der Zigarettenpackung aus und zog sie wieder zurück, ohne sie zu berühren. »Nun, ganz so -«
    »Es ist die Wahrheit«, fuhr Barkow ruhig fort. »Ich bin all das: Ein Söldner. Nach Ihren Gesetzen sicher ein Verbrecher. Und wahrscheinlich auch wahnsinnig, weil ich in einer Zeit wie dieser noch an etwas glaube.«
    »Und was ist das?« fragte Rebecca.
    Barkow antwortete nicht direkt, sondern ließ sich in seinem unbequemen Stuhl zurücksinken, so weit es ging, nahm die Hand aber noch immer nicht von der Aktentasche. »Ich bin nicht sicher, ob Sie das verstehen können«, sagte er. »Sie und ich stammen aus verschiedenen Welten, Frau Mewes. Grundverschiedenen Welten.«
    »So verschieden sind sie gar nicht«, sagte Rebecca, aber Barkow schüttelte heftig den Kopf.
    »Ich rede nicht von Ost und West«, sagte er scharf. »Ich bin Soldat, mein Kind.
    Ein guter Soldat. Ich stamme aus einer Soldatenfamilie, und ich bin in einer Welt aufgewachsen, in der das Militär alles war: Vater, Mutter, meine Familie, meine Geliebte...« Er lächelte, aber nur für eine Sekunde oder weniger.
    »Sie denken jetzt bestimmt, das klingt schwülstig. Lagerfeuerromantik. Männerphantasien. Vielleicht haben Sie sogar recht, von Ihrem Standpunkt aus. Aber es ist alles, was wir hatten.«
    »Wir?«
    Barkow machte eine Kopfbewegung zu dem Posten hinter ihnen. »Meine Männer und ich. Wir dienten in der Roten Armee, aber wir waren mehr als nur Soldaten. Jeder einzelne von uns hat an das geglaubt, wofür er gedient hat. Wir alle hätten unser Leben gegeben, für unsere Heimat, aber viel mehr für das, woran wir geglaubt haben.«
    »Und das gibt es heute nicht mehr?«
    »Die Ideen, ja. Das Land...« Er hob die Schultern. »Es gibt keine UdSSR mehr. Was an ihre Stelle getreten ist...« Er sprach nicht weiter.
    »Sind Sie deshalb desertiert?« fragte Rebecca. Die Direktheit der Frage erschreckte Stefan, aber Barkow lächelte nur.
    »Das bin ich nicht«, sagte er.
    »Nicht?« Rebecca legte fragend den Kopf schräg. »Die offizielle Version jedenfalls lautet so.«
    »Sie sagen es«, bestätigte

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