Wolfsherz
war ein Riese, ungefähr eins neunzig groß und so massig, daß ihn allerhöchstens noch ein Pfund von der Fettleibigkeit trennte. Sein Gesicht war breit und sehr grob gezeichnet, und seine Wangen waren die reinste Kraterlandschaft aus tiefen Aknenarben. Er hatte buschige Augenbrauen und graues, streng zurückgekämmtes Haar, das bereits vor vier Wochen einen Friseur gebraucht hätte.
Barkow wartete, bis sein Begleiter die Tür hinter sich geschlossen und mit vor der Brust verschränkten Armen davor Aufstellung genommen hatte, um dem Klischee vollkommen Genüge zu tun. Dann trat er mit gemessenen Schritten um den Tisch herum und beugte sich leicht vor, wobei er sich mit den Fingerknöcheln auf der Platte abstützte.
»Herr Wissler, Herr und Frau Mewes«, begann er. Er sprach Deutsch mit einem schweren russischen Akzent, aber gut verständlich. »Bitte, nehmen Sie doch Platz.« Er wartete nicht, bis sie der Einladung gefolgt waren, sondern ließ sich selbst auf einen der groben Stühle fallen und faltete die Hände auf der Tischplatte zu einer großen, zehnfingrigen Faust. Nachdem sie zögernd Platz genommen hatten, fragte er: »Kann ich Ihnen etwas anbieten? Etwas Warmes zu trinken, eine heiße Suppe?«
Wissler und Stefan schüttelten die Köpfe, aber Rebecca sagte: »Wenn ich rauchen dürfte?«
Barkow runzelte die Stirn. »Eine sehr ungesunde Angewohnheit, wenn Sie mir diese Bemerkung gestatten, Frau Mewes«, sagte er. »Und eine wenig damenhafte dazu. Aber bitte.«
Stefan sah völlig verwirrt zu, wie Rebecca sich umständlich ihrer Handschuhe entledigte und mit klammen Fingern eine Packung Zigaretten und ein silberfarbenes Feuerzeug aus der Jackentasche zog. Wenigstens sah es aus wie ein Feuerzeug. Stefan wußte, was es wirklich war. Er betete, daß Barkow es nicht wußte. Becci mußte vollkommen den Verstand verloren haben. Er wandte sich hastig an den Mann auf der anderen Seite des Tisches.
»Sie sind also der berühmte Major Barkow«, begann er, »der -«
»Der Schlächter von Tuszia«, unterbrach ihn Barkow ruhig. »Sprechen Sie es ruhig aus. Ich weiß, wie man mich nennt.«
»Herr Major, ich -«
»Herr und Frau Mewes sind nicht hier, um Sie zu beleidigen, Major Barkow«, mischte sich Wissler ein. Er sprach schnell und sehr nervös, und seine Augen waren in ununterbrochener Bewegung. »Und auch nicht, um irgendwelchen Vorurteilen Vorschub zu leisten.«
Barkow lächelte dünn. Er beantwortete Wisslers Bemerkung, aber er sah Stefan dabei an; etwas, das sehr irritierend wirkte. »Ich denke, ich weiß ziemlich genau, warum die Herrschaften hier sind«, sagte er. »Ein Interview mit dem Schlächter von Tuszia dürfte eine Menge Geld einbringen, nicht wahr?«
Stefan schwieg. Rebecca hatte endlich ihre Zigarettenschachtel geöffnet und griff mit steifgefrorenen Fingern nach dem Feuerzeug, benahm sich dabei aber so ungeschickt, daß es ihr entglitt und zu Boden polterte. Sofort wollte sie sich danach bücken, aber Barkow war schneller. Stefans Herz machte einen erschrockenen Sprung in seiner Brust, als Barkow das Feuerzug aufhob und es Rebecca reichte. Gleichzeitig machte er mit der freien Hand eine Geste zu dem Wachtposten. Der Mann zog ein betagtes Benzinfeuerzeug aus der Tasche, setzte den Docht in Brand und gab Rebecca Feuer. Sie nahm einen Zug aus ihrer Zigarette, blies den Rauch durch die Nase wieder aus, ohne zu inhalieren, und verbarg ihr eigenes Feuerzeug in der linken Hand. Stefans Herz raste. Er glaubte zu fühlen, wie ihm am ganzen Leib der Schweiß ausbrach. Großer Gott, er hatte nicht gewußt, daß er mit Mata Hari verheiratet war!
»Ich finde das in Ordnung«, setzte Barkow das unterbrochene Gespräch fort. »Jeder von uns muß sehen, wo er bleibt. Ich töte Menschen, um Geld zu verdienen, und Sie interviewen Menschen, die Menschen töten, um Geld zu verdienen. Wo ist der Unterschied?«
Er lächelte, aber seine Augen blieben dabei vollkommen kalt. Stefan war klug genug, nicht zu antworten. Barkow wollte ihn aus der Reserve locken, aber Stefan war noch nicht ganz klar, in welche Richtung.
»Nun?«
»Ich denke, es ist einer«, antwortete er schließlich widerwillig.
Barkow lächelte. Einen Moment lang sah er Rebecca zu, wie sie an ihrer Zigarette sog, ohne zu inhalieren, und Stefan glaubte einen schwachen Funken von Mißtrauen in seinen Augen zu erkennen, so daß er hastig fortfuhr: »Es ist ein Unterschied, Major. Aber Sie haben uns doch dieses Interview bestimmt nicht genehmigt,
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