Wolfsherz
hätte - zuvor auf ihre größtmögliche Wirksamkeit abzuklopfen.
Um so mehr schienen sie Robert getroffen zu haben. Etwas im Blick seines Schwagers erlosch; schnell und so endgültig, daß er nicht sicher war, ob es jemals zurückkehren würde. Roberts Hände begannen ganz leicht zu zittern, und etwas in ihm... zerbrach.
Langsam, wie gegen einen unsichtbaren Widerstand ankämpfend, drehte sich Robert herum, trat an die verspiegelte Bar fünf Schritte hinter dem Schreibtisch und nahm eine der Flaschen vom Regal. Stefan beobachtete ihn sehr aufmerksam. Roberts Hände hatten schon wieder aufgehört zu zittern. Das Glas, das er sich einschenkte, blieb so ruhig, daß sich auf der Flüssigkeit nicht die winzigste Erschütterung zeigte, als er sich wieder zu ihm herumdrehte und ihn ansah.
»Du hast es nie wirklich begriffen, nicht?« fragte er.
»Was?«
Robert nippte an seinem Drink - Cognac; ein ziemlich guter. Stefan trank selten Alkohol, aber er hatte das Aroma erkannt, kaum daß Robert die Flasche geöffnet hatte. Jetzt erfüllte der durchdringende Alkoholgeruch den Raum mit solcher Vehemenz, daß er ihn schon als störend empfand. Übermenschlich scharfe Sinne hatten nicht nur Vorteile. Robert trat einen Schritt auf ihn zu, blieb wieder stehen und deutete mit dem Glas auf die Couch neben dem Fenster. »Setz dich.«
Stefan gehorchte. Er spürte eine ganz banale, aber sehr große Erleichterung, sich endlich setzen zu können. Sein Bein hatte irgendwann im Laufe der letzten halben Stunde aufgehört zu schmerzen, aber sein Rücken fühlte sich mittlerweile an, als wollte er gleich in Stücke brechen. Was immer auch mit Rebecca und ihm geschah - es bewahrte ihn nicht vor ganz normaler Müdigkeit. Als er sich in das weiche Leder sinken ließ, wurde der Drang, die Augen zu schließen und sich einfach fallenzulassen, fast übermächtig.
Das Geräusch von Leder und raschelnder Seide erzählte ihm, daß Robert in einem der schweren Sessel ihm gegenüber Platz genommen hatte. Es war unglaublich, aber er konnte sogar hören, wie der Cognac in Roberts Hand gegen das Glas schwappte.
Mit einer enormen Willensanstrengung öffnete er die Augen wieder und sah seinen Schwager an. Was er sah, verwirrte ihn. Vielleicht war es das erste Mal, daß er Robert
tatsächlich
sah; den echten Robert, nicht eine der zahllosen Masken, die er sich so oft übergestülpt hatte, daß er möglicherweise selbst nicht mehr wußte, wie das Gesicht darunter eigentlich aussah. Er sah einen verletzten, sehr müden Mann.
»Du weißt wirklich nicht, wovon ich rede, wie?« fragte Robert. »Du glaubst, es wäre nur ein Kind. Ein neues Spielzeug für Rebecca.«
»Quatsch!« sagte Stefan. »Ich weiß genau -«
»Du weißt gar nichts!« unterbrach ihn Robert. Er schrie nicht beinahe, er schrie wirklich; auch wenn seine Stimme dabei kaum lauter wurde.
Sein Zornesausbruch überraschte Stefan, aber er machte ihn nicht seinerseits wütend; vielleicht, weil er spürte, daß dieser Zorn nicht ihm galt. Nicht wirklich. Er richtete sich auf ihn, ganz einfach, weil er das Pech hatte, im Moment die einzige Zielscheibe im Raum zu sein, aber er galt nicht ihm persönlich. Wahrscheinlich galt er niemandem. Robert war einfach ein Mann, der mit dem Schicksal haderte, und das bestimmt nicht erst seit heute. Unglückseligerweise hatte das Schicksal weder ein Gesicht noch einen Namen, noch persönliche Schwächen, auf denen man herumhacken konnte.
Robert setzte das Glas an und leerte es mit einem einzigen Zug. »Du weißt gar nichts«, sagte er noch einmal, als wäre dies nun sein Mantra, das er nur lange genug wiederholen mußte, damit sich seine beruhigende Wirkung entfaltete. »Nichts.«
Stefan sagte nichts dazu. Alles, was er hätte sagen können, wäre falsch gewesen. Robert wollte nichts hören. Er wollte reden.
»Oer Unfall damals«, fuhr Robert fort. »Ich glaube, du hast nicht verstanden, was er deiner Frau
wirklich
angetan hat, wie?«
Er sagte jetzt »deiner Frau«, nicht mehr »Rebecca« oder »meiner Schwester«, als versuche er, Stefan auf diese Weise einen größeren Teil der Verantwortung zuzuschanzen, als ihm zustand. War das vielleicht der Grund für die schwelende Feindseligkeit, die er eigentlich immer in Roberts Gegenwart verspürte, dachte Stefan erstaunt. Die Erklärung erschien ihm so simpel, daß sie vielleicht allein deshalb schon wahr sein konnte. Vielleicht war Robert einfach der Ansicht, daß er seinen Teil der Verantwortung
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