Wolfsherz
finden.
»Hat euch irgend jemand zusammen gesehen?« fragte Robert, »Euch und diese Söldner, meine ich?«
»Ich glaube nicht.«
»Gut. Dann solltet ihr auch bei der Version bleiben, die du Dorn gerade erzählt hast.«
»Ich weiß nicht, ob das sehr klug war«, erwiderte Stefan. »Er wird die Wahrheit früher oder später herausfinden. Der Mann ist nicht dumm.«
»Mach dir darum keine Sorgen«, antwortete Robert. »Ich halte ihn dir schon vom Hals. Wenigstens so lange, bis dieses andere... Problem erledigt ist. Hast du eine Vorstellung davon, wie viele es sind?«
»Im Krankenhaus waren es vier«, antwortete Stefan. »Aber sie sind tot.« Robert sah ihn zweifelnd an. Er lächelte für eine Sekunde, hob die Schulter und fügte, schlagartig wieder ernst werdend, hinzu: »Ich sagte dir doch, jemand hat uns geholfen.«
»Du willst mir erzählen, daß irgend jemand vier ausgebildete Soldaten umgebracht hat, ohne daß Dorn es gemerkt haben soll?«
»Ich weiß nicht, ob sie alle tot sind. Bei zwei oder dreien bin ich sicher. Aber ich habe angenommen, daß sie tot sind.« Er fragte sich vergeblich, warum er das sagte. Er wußte verdammt genau, daß keiner der Männer den Angriff dieses... Dings überlebt hatte. »Ich bin nicht dageblieben, um nachzusehen, weißt du.«
»Wahrscheinlich sind sie verschwunden und haben die Toten mitgenommen«, sagte Robert. »Söldner machen das so. Aber du hast natürlich recht. Dorn wird ziemlich schnell merken, was passiert ist. Er wird wiederkommen.« Er seufzte demonstrativ. »Aber nicht heute. Es ist spät. Laß uns Schluß machen. Ich werde morgen früh ein bißchen herumtelefonieren. Und mich vor allem einmal etwas intensiver um euren Freund White kümmern. Ich habe das Gefühl, daß er eine Menge mehr weiß, als er bisher zugegeben hat.«
Stefan ging nach oben, aber er legte sich nicht ins Bett. Er hatte einen schlechten Geschmack auf der Zunge, und hinter seiner Stirn nahm ein dumpfer Druck Gestalt an, der noch kein wirklicher Schmerz war, aber bald dazu werden würde. Eben, unten im Wohnzimmer, war er so müde gewesen, daß er um ein Haar mitten in dem Gespräch mit Robert eingeschlafen wäre, und erschöpft war er noch immer. Trotzdem wußte er, daß er keinen Schlaf finden würde.
Es war alles zuviel. Sein Gespräch mit Robert hatte ihm nicht nur klargemacht, daß er sich in einer ausweglosen Situation befand. Das hätte ihn nicht einmal mehr wirklich erschreckt: Sie wurden von Männern gejagt, die keine anderen Absichten hatten, als sie zu töten, und die allerbesten Voraussetzungen, dieses Ziel auch zu erreichen. Aber dieser Gedanke machte ihm nicht angst. Ganz im Gegenteil erschien ihm dies als etwas ganz Natürliches; etwas, das zu dem von uralten Instinkten, animalischen Reflexen und angeborenen Verhaltensweisen bestimmten Leben gehörte, in das er mehr und mehr abglitt. Sie waren Beute, und die Jäger waren irgendwo dort draußen, und das war in Ordnung. Sie würden überleben, oder auch nicht, und auch das war in Ordnung.
Was nicht in Ordnung war, war das, was ihm Robert erzählt hatte. Er hatte gewußt, daß Rebecca unter dem Verlust des Kindes gelitten hatte; das war nur natürlich, ebenso, wie es ganz klar war, daß sie mehr darunter gelitten hatte als er. Aber er hatte nicht gewußt, wieviel mehr.
Er kam sich schuldig vor. Robert hatte recht. Ganz egal, aus welchem Grund er ihm all das gesagt hatte, im Kern hatte er recht: Er hatte Rebecca im Stich gelassen. In dem Moment ihres Lebens, in dem sie ihn am allerdringendsten gebraucht hätte, war er nicht dagewesen. Er wußte nicht, ob Rebecca ihm diesen Verrat verzeihen würde. Vielleicht war das der Grund, aus dem er plötzlich keine Angst mehr vor dem Tod zu haben schien. Kämpfen war leicht, trotz allem nicht mehr als ein Ritual, das nach uralten und im Grunde stets gleichen Regeln ablief. Aber was, wenn er diesen Kampf
überleben
würde?
Er hatte kein Licht eingeschaltet, als er hereingekommen war, aber es bereitete ihm trotzdem keine Mühe, gut zu sehen. Das Fenster war zwar geschlossen, die Gardinen aber zurückgezogen, und durch die Scheiben strömte in breiten, silbernen Bahnen Mondlicht herein. Eine Zeitlang stand er einfach da und sah dieses Licht an. Mondlicht.
Wolfslicht.
Es schien etwas Lebendiges in diesem Licht zu sein, nein, nichts Lebendiges: etwas Lebenspendendes. Verrückt.
Sein Blick folgte den Lichtstrahlen, die verwirrende, isometrisch verschobene Muster auf den Teppich und das Bett
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