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Wolfsherz

Wolfsherz

Titel: Wolfsherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Barkow. »Die offizielle Version.«
    »Was soll das heißen?« fragte Stefan.
    Barkow machte ein abfälliges Geräusch. »Muß ich es Ihnen erklären? Sie haben doch gewiß mindestens hundertmal mehr von diesen amerikanischen Agentenfilmen gesehen als ich: ›Wenn ihnen etwas zustößt oder Sie in Gefangenschaft geraten, müssen wir leugnen, Sie zu kennen. ‹«
    Für einige Sekunden wurde es sehr, sehr still. Selbst der Wind schien in seinem ununterbrochenen Heulen für einen Moment innezuhalten. Stefan verspürte ein Gefühl von Unglauben, das sich schwer in Worte fassen ließ; nicht einmal wirklich in Gedanken. Wisslers Gesicht verlor die Farbe, und Rebecca starrte den Russen aus ungläubig aufgerissenen Augen an.
    »Sie... wollen damit sagen, daß Sie immer noch für die Russen arbeiten?« murmelte sie.
    »Ich will damit sagen, daß ich kein Deserteur bin«, antwortete Barkow, was nur indirekt eine Antwort auf ihre Frage war.
    Und eigentlich nicht einmal das, sondern Worte, die jede beliebige Deutung zuließen.
    »Warum?« fragte Stefan. »Ich meine: Warum sollten Sie so etwas tun? Die russische Regierung hat sich offiziell von Ihnen distanziert. Sie sind unehrenhaft aus der Roten Armee ausgestoßen worden. Sie und Ihre Männer gelten als Kriegsverbrecher.«
    »Man hat sogar einen Preis auf meinen Kopf ausgesetzt«, bestätigte Barkow gelassen. »Natürlich nicht offiziell, aber auch wieder nicht inoffiziell genug, daß nicht durchsickert wäre, wer die Belohnung ausgesetzt hat.«
    »Aber... wieso?« fragte Stefan verstört.
    Barkow sah ihn nur durchdringend an, und Wissler sagte mit leiser, tonloser Stimme: »Weil es immer Dinge gibt, die man nicht offiziell erledigen kann, nicht wahr? Die Männer fürs Grobe, die die Dinge erledigen, bei denen sich die hohen Herren nicht die Finger schmutzig machen wollen.«
    »Das... ist schwer zu glauben«, sagte Rebecca zögernd.
    Barkow sah sie durchdringend an. »Sie haben solche Männer auch.«
    »Vielleicht«, antwortete Rebecca. »Ein paar. Zwei oder drei Fanatiker, die wahnsinnig genug sind, sich für irgendwelche kruden Ideen verheizen zu lassen, aber -«
    »Becci!« sagte Stefan scharf.
    »Sie täuschen sich, meine Liebe.« Barkow öffnete das Schloß der Aktentasche und legte die Hand mit gespreizten Fingern darauf. »Ich kann jedes Wort beweisen. Sie finden alles, was Sie dazu brauchen, in dieser Mappe. Nebenbei, Sie täuschen sich auch in anderer Hinsicht. Ihre großen Freunde, die Amerikaner, haben sehr wohl Einheiten wie die meine. Auch dort gibt es Männer, die sich für das, woran sie glauben, ›verheizen‹ lassen.«
    »Ich wollte Sie nicht beleidigen«, sagte Rebecca. »Aber -«
    »Das haben Sie nicht«, unterbrach sie Barkow. »Aber es gibt diese Einheiten, mein Wort darauf. Ich bin mehr als einer begegnet.«
    »Und selbst wenn«, widersprach Rebecca. »Diese Männer wären nicht so verrückt, sich selbst als Deserteure hinzustellen. Sie... sie wären vogelfrei, überall auf der Welt!«
    »Da«,
bestätigte Barkow. Es war das erste russische Wort, das er in ihrer Gegenwart sprach, und Stefan stellte leicht verwundert fest, wie anders seine Stimme selbst bei dieser einzelnen Silbe in seiner Muttersprache bereits klang. Als er weitersprach, hörte er sich beinahe amüsiert an. »jeder amerikanische Briefträger kann mich aus dem Hinterhalt erschießen, und er bekäme noch einen Orden dafür. Doch das Risiko ist nicht so gewaltig, wie Sie glauben. Ich kann damit leben.«
    »Sie behaupten also, das alles wäre im Auftrag Ihrer Regierung geschehen?« Rebecca klang erschüttert. »Die Bomben auf Tuszia, die Massaker an den beiden Dörfern, die -«
    »Ich habe nicht von
meiner
Regierung gesprochen«, unterbrach sie Barkow. »Ich sagte, daß ich kein Deserteur bin und in offiziellem Auftrag handelte. Das ist ein Unterschied. Die Welt hat sich verändert, meine Liebe. Aus alten Feinden sind plötzlich Verbündete geworden, und es ist für beide Seiten praktisch, jemanden zu haben, der die Drecksarbeit macht.«
    Rebecca starrte ihn an. »Das ist grotesk«, sagte sie.
    »Ich habe nicht erwartet, daß Sie mir glauben«, antwortete Barkow. »Aus diesem Grund habe -«
    Die Tür wurde aufgerissen, und ein zweiter Mann im weißen Tarnanzug kam herein. Mit schnellen Schritten umrundete er den Tisch, beugte sich zu Barkow hinab und raunte ihm etwas ins Ohr. Barkow hörte wortlos und mit unbewegtem Gesicht zu. Dann nickte er und machte eine knappe Handbewegung, woraufhin

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