Wolfsherz
weiß zuviel. Und ich könnte zu viele Dinge über zu viele Leute erzählen, die zuviel Staub aufwirbeln würden - wie Sie es ausdrücken. In den letzten vier Wochen haben meine Männer ebenso viele Attentäter abgefangen, wie ausgeschickt wurden, um mich zu töten. Es werden weitere kommen. Wir werden auch sie abfangen, und sie werden neue schicken. Irgendwann wird einer von ihnen seinen Auftrag erfüllen. Statistik.« Er zuckte mit den Schultern.
»Ich verstehe«, sagte Rebecca. »Sie hoffen, am Leben zu bleiben, wenn wir das da an die Öffentlichkeit bringen.«
»Nein«, antwortete Barkow. »Ich bin kein Idiot. Sie werden mich auf jeden Fall töten.«
»Sie?«
»Der KGB, die CIA, die Moslems...« Barkow hob die Hände. »Ich habe zu viele Feinde. Selbst wenn es ihnen gelingt, dieses Material zu veröffentlichen, werden sie mich auf keinen Fall am Leben lassen. Ich werde es ihnen nicht leichtmachen, aber mir ist klar, daß sie mich früher oder später erwischen werden. Es geht nicht um mich.«
»Worum dann?« fragte Wissler. »Rache?«
»Ein anderes Wort wäre mir lieber«, sagte Barkow. »Gerechtigkeit. Vielleicht klingt das seltsam aus meinem Mund, aber ich empfinde die Vorstellung als unerträglich, die alleinige Schuld tragen zu sollen. Und ich habe einen Sohn, der unter meinem Kommando dient, und noch sechsundfünfzig weitere Männer. Ich will ihr Leben retten.« Er atmete hörbar ein und schob die Aktentasche über den Tisch. »Das ist mein Angebot: Ihr Pulitzer-Preis und vermutlich sehr viel Geld für Sie, und das Leben meiner Männer und die Genugtuung, daß die, die mich verraten haben, ebenfalls bezahlen, für mich. Nehmen Sie an?«
Rebecca starrte die Aktenmappe an, während Stefan noch immer wie vor den Kopf geschlagen war. Niemand rührte sich. Nach ein paar Sekunden beugte sich Wissler vor und streckte die Hand nach der Aktentasche aus. Jedenfalls sah es so aus.
Aber er griff nicht nach der Aktentasche.
Er nahm Barkows Revolver und schoß.
Die Bewegung war nicht einmal sehr schnell, aber so fließend und von einer solchen Selbstverständlichkeit, daß Stefan nicht einmal begriff, was Wissler vorhatte, bevor es zu spät war; und Barkow möglicherweise auch nicht. Wissler verschwendete keine Zeit damit, die Waffe vom Tisch zu nehmen, um direkt auf Barkow anzulegen: Er drehte den Revolver auf der Tischplatte und riß den Abzug mit dem Mittelfinger durch. Der Schuß war nicht tödlich, aber er stanzte ein gewaltiges Loch in Barkows rechte Schulter und riß den massigen Mann mitsamt seines Stuhles hintenüber zu Boden. Im gleichen Sekundenbruchteil, vielleicht sogar eine Winzigkeit bevor er auf Barkow schoß, trat Wissler nach hinten aus. Sein schwerer Armeestiefel traf den Soldaten neben der Tür in den Leib und schmetterte ihn gegen die Wand. Er brach nicht zusammen, war aber für einen ganz kurzen Moment benommen, und dieser Moment war alles, was Wissler brauchte.
Seinen eigenen Fußtritt als Hebelwirkung benutzend, rollte Wissler über die Tischplatte, nahm in der gleichen Bewegung den Revolver endgültig auf und schoß, noch während er auf der anderen Seite vom Tisch fiel.
Die Kugel traf den Soldaten in die Kehle und tötete ihn auf der Stelle. Unmittelbar darauf stürzte Wissler auf der anderen Seite des Tisches zu Boden, richtete sich blitzschnell wieder auf und feuerte Barkow aus unmittelbarer Nähe zwei Kugeln in den Kopf. Zwischen dem ersten und dem vierten Schuß lagen nicht einmal zwei Sekunden.
Stefan saß da wie erstarrt. Alles war viel zu schnell passiert, als daß er irgend etwas hätte tun können, und im Grunde auch zu schnell, als daß er wirklich
begriffen
hätte, was geschah. Vollkommen fassungslos starrte er Wissler an, der auf der anderen Seite des Tisches stand.
»Aber...«, stammelte er, »aber was... was haben Sie...«
Wissler riß seine Waffe mit beiden Händen in die Höhe, legte auf ihn an und drückte blitzschnell zweimal hintereinander ab. Eine Kugel für ihn, eine für Becci.
Der tödliche Schlag, den er erwartete, blieb aus. Statt dessen erscholl hinter ihm ein sonderbar seufzender Laut, und einen Moment darauf ein dumpfes Poltern. Als Stefan sich herumdrehte, erblickte er den Soldaten mit der Maschinenpistole, der gerade schon einmal hereingekommen war. Sein gefütterter weißer Parka begann sich an zwei Stellen rot zu färben, und auf seinem Gesicht lag ein vollkommen fassungsloser Ausdruck, während er ganz langsam in die Knie zu brechen begann. Das
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