Wolfsherz
zu töten.«
Barkows Hand bewegte sich millimeterweise an seinem Gürtel hinab, und tastete nach der Pistole. Stefan stieß ihm den Gewehrlauf so hart unter das Kinn, daß Barkow nicht nur hastig die Hand zurückzog, sondern auch verzweifelt nach Luft rang, und fuhr mit unveränderter Stimme fort: »Ich kann das verstehen. Ich an Ihrer Stelle würde wahrscheinlich nichts anderes tun.« Er legte eine kurze, genau berechnete Pause ein, dann sagte er: »Aber Sie haben die Falschen.«
Barkow rang sich ein ersticktes Lachen ab. »Sie müssen sein verrückt, wenn Sie denken, daß ich glaube das.«
»Aber es ist die Wahrheit«, sagte Stefan. »Ich kann das beweisen.«
»Sie sind verrückt«, sagte Barkow. »Erschießen Sie mich. Wenn nicht, dann Sie tot.«
»Nein«, sagte Stefan. »Das glaube ich nicht.« Und dann tat er etwas, was Barkow vollkommen überraschen mußte: Er nahm die Waffe herunter, drehte sie um und drückte sie dem völlig perplexen Russen in die Hand.
Barkow starrte die Waffe an, dann Stefan und dann wieder den Karabiner in seinen Händen verständnislos an. Stefan konnte regelrecht sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. Der gefährliche Moment kam und ging. Barkow hob die Waffe, richtete den Lauf direkt auf Stefans Herz und legte den Finger auf den Abzug.
Aber er schoß nicht. Er sah Stefan nur an, und Stefan hatte noch nie eine solch abgrundtiefe Verwirrung im Blick eines Menschen gesehen.
»Drücken Sie ab«, sagte er, »und Sie werden nie erfahren, wer Ihren Vater wirklich auf dem Gewissen hat.«
»Ich habe Sie
gesehen'.«
behauptete Barkow. »Sie und Ihre Frau und... und den Amerikaner. Und ich habe gehört...«
»Aber Sie waren nicht dabei!« sagte Stefan betont. »Sie haben genau zwei Möglichkeiten, Barkow. Sie können abdrücken und dann gehen und Sie werden für den Rest Ihres Leben niemals ganz sicher sein, was passiert ist. Oder Sie können mich begleiten, und ich zeige Ihnen, wer Ihren Vater
wirklich getötet
hat.«
Er las die Antwort in Barkows Augen, ohne daß er sie aussprechen mußte. Langsam öffnete Stefan die Tür, stieg aus dem Wagen und wandte sich dem brennenden Haus zu.
Er wußte, daß Barkow ihm folgen würde.
Das Feuer hatte weiter um sich gegriffen, als sie das Haus erreichten. Eine Woge fast unerträglicher Hitze schlug ihnen entgegen. Die Luft war stickig und so dick, daß man sie kaum atmen konnte, und die Flammen hatten nun fast das gesamte Wohnzimmer überrannt. Das Treppengeländer und die ersten drei oder vier Stufen brannten bereits. Er hatte weit länger gebraucht, um Barkow zu holen, als er kalkuliert hatte; das, oder das Feuer hatte sich schneller ausgebreitet als geschätzt. Aber die Zeit würde reichen. Trotz des Lärms und des erstickenden Brandgeruchs spürte er, daß White und der Wolf noch dort waren, wo er sie zurückgelassen hatte.
Er deutete nach oben. Barkow sah ihn erschrocken an, zögerte aber keine Sekunde, ihm im Zickzack durch das brennende Zimmer zu folgen. Die Treppe hinaufzukommen erwies sich als schwierig; wenn das Feuer weiter mit solcher Schnelligkeit um sich griff, würde der Rückweg unmöglich sein. Das Treppengeländer brannte und überschüttete sie mit einem Schwärm winziger, glühender Feuerkäfer, die sich auf ihre Kleider und Haare senkten und in ihre ungeschützten Gesichter und Hände bissen, und auch die drei unteren Treppenstufen standen in hellen Flammen. Stefan setzte mit einem beherzten Sprung hindurch. Er fühlte nichts, verzog aber trotzdem das Gesicht, als hätte er Schmerzen - nur für den Fall, daß Barkow ihn beobachtete. Er hustete. Barkow rang keuchend nach Luft, wurde aber nicht langsamer, sondern griff im Gegenteil noch schneller aus.
Oben war es noch heißer als unten, aber die Luft war nicht so voller Qualm, daß sie nicht atmen konnten. Stefan wankte dicht vor Barkow ins Gästezimmer, drehte sich nach rechts und begriff im gleichen Moment, in dem er durch die Badezimmertür sah, daß sie zu spät gekommen waren.
White lag am Boden und versuchte verzweifelt, seine Waffe zwischen sich und den riesigen weißen Wolf zu schieben, der halbwegs auf seiner Brust lag und nach seiner Kehle schnappte. Der einzige Grund, aus dem er überhaupt noch lebte, war seine künstliche Hand: Er hatte sie kurzerhand in den Rachen des Ungeheuers geschoben. Die gewaltigen Fänge des Wolfs rissen scharfkantige Stücke aus dem Plastikmaterial der Prothese, hatten es bisher aber noch nicht geschafft, sie ganz zu zerbeißen.
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