Wolfsherz
Stefan bitter. »Meinen Glück-• wünsch. Wir haben keinen Ton gehört.«
Wissler runzelte die Stirn. Er sagte nichts.
»In einem Punkt haben Sie jedenfalls nicht gelogen«, fuhr Stefan fort. »Sie sind nicht James Bond. Sie sind Freddy Krüger.«
»Ich war das nicht«, sagte Wissler ruhig.
»Hören Sie auf«, sagte Stefan. »Verdammt noch mal, lügen Sie mich nicht an! Sie -«
»Ich glaube, er sagt die Wahrheit«, unterbrach ihn Rebecca. Sie sprach sehr leise, mit beinahe tonloser Stimme, aber vielleicht war es ja gerade das, was Stefan mitten im Wort abbrechen ließ.
Rebecca hob die Hand und deutete auf einen Punkt hinter ihm. »Sieh!«
Ganz langsam drehte Stefan den Kopf und sah in die angegebene Richtung. Er sah sofort, was Rebecca gemeint hatte.
Der Schnee rings um den Toten war zertrampelt und voller Blut und Dreck, aber zwischen den Bäumen befand sich ein kleiner, unversehrter Bereich, kaum einen Meter von ihm entfernt. Dort war der Schnee nicht angerührt. Aber es gab eine doppelte, tief eingedrückte Spur, die aus der Dunkelheit zwischen den Bäumen heraus- und dicht daneben wieder hineinführte. Es war nicht die Spur eines Menschen. Aber obwohl Stefan eine Spur wie diese niemals zuvor im Leben gesehen hatte, wußte er sofort, was es war.
Es war die Fährte eines Wolfs.
Was Wissler gefunden hatte, war tatsächlich kein Baum, aber es kam ihm nahe, was seine Sicherheit anging: eine Gruppe von Felsen, die sich zweieinhalb oder drei Meter hoch auftürmten und an drei Seiten vollkommen unbesteigbar waren. Die vierte wurde von einer steilen Schutt- und Geröllhalde gebildet, die weder für einen Menschen noch für einen Wolf ein unüberwindbares Hindernis bilden würde, aber leicht zu verteidigen war. Die Bäume standen hier weniger dicht, so daß sich nichts von nennenswerter Größe anschleichen konnte. Wäre Stefan dazu in der Verfassung gewesen, hätte er erkannt, daß es sich tatsächlich um eine natürliche Festung handelte, auf der sie selbst ohne Schußwaffen durchaus in der Lage gewesen wären, sich eine geraume Weile gegen ein ganzes Wolfsrudel zu verteidigen.
Er war es nicht.
Er konnte sich nicht einmal richtig erinnern, wie weit der Weg hierher gewesen war, geschweige denn, in welche Richtung sie gegangen waren.
Der Anblick des toten Soldaten hatte ihn völlig aus der Bahn geworfen, obwohl es nicht der erste an diesem Abend gewesen war und er den Tod der anderen viel direkter miterlebt hatte. Aber neben vielen anderen - in keinem Falle angenehmen - Lektionen, die er in dieser Nacht bekommen hatte, war dies vielleicht die schmerzhafteste gewesen: Tod war nicht gleich Tod. Barkow war gestorben, weil sein Tod in das politische Kalkül gewisser Mächte paßte und er, zu Recht oder Unrecht, sein Recht auf Leben verwirkt hatte; seine Soldaten mehr oder weniger aus den gleichen Gründen, oder einfach, weil sie das Pech gehabt hatten, im falschen Moment am falschen Ort zu sein. Was dem Soldaten zugestoßen war, den sie im Wald gefunden hatten, war etwas... anderes. Der Tod dieses Soldaten war viel direkter gewesen, auf eine brutale Art sowohl willkürlicher als auch scheinbar sinnloser. Er hätte den Toten im Wald eher akzeptieren müssen als Barkow und seine zwei Begleiter oder den Mann, den Wissler unter dem Haus getötet hatte. Aber der schreckliche Fund hatte ihn zehnmal mehr schockiert als das gewaltsame Sterben, dessen Zeuge er gewesen war. Sie waren plötzlich mit einem neuen, unberechenbaren Feind konfrontiert worden, der sich weder um Logik noch um Sympathien scherte, und das war vielleicht der wirkliche Unterschied: Barkows Tod empörte ihn. Der des russischen Soldaten im Wald dagegen versetzte ihn in Panik, weil er seine Urinstinkte ansprach: Von einer Sekunde auf die andere waren fünfzehntausend Jahre Zivilisation vergessen; sie waren wieder zur Beute geworden.
»In ungefähr zwei Stunden wird es hell«, sagte Wissler. »Dann werden wir abgeholt.«
Stefan machte sich nicht einmal die Mühe, zu ihm aufzublicken. Weder Rebecca noch er hatten eine entsprechende Frage gestellt, und zumindest ihn interessierte es auch nicht wirklich. Tief in sich war er davon überzeugt, daß sie dieses Tal nicht mehr lebend verlassen würden.
Es dauerte eine geraume Weile, aber irgendwann wurde Wissler klar, daß er keine Antwort bekommen würde. Er räusperte sich übertrieben und fügte in etwas direkterem Ton hinzu:
»Bevor wir abfliegen, sollten wir ein oder zwei Dinge klären.«
Stefan hob
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