Wolfsherz
lang fast erschrocken ansah; dann lächelte er.
»Ich weiß, wie du über dieses Thema denkst. Du willst von deinem reichen Schwager nichts geschenkt. Das ist in Ordnung. Betrachte es als Darlehen. Du kannst es mir zurückzahlen, sobald du dazu in der Lage bist.« Er machte eine Bewegung, mit der er jeden möglichen Widerstand schon im Keim erstickte, nahm endlich den Fuß vom Gas und setzte zu einer Vollbremsung an, die Stefan vermutlich in die Gurte geschleudert hätte, aber die Ampel schlug im allerletzt möglichen Moment auf Gelb um, und Robert trat mit einem grimmigen Lächeln das Gaspedal wieder weiter durch. Der Wagen machte einen Satz, schoß um Haaresbreite an einem anderen Fahrzeug vorbei, dessen Fahrer erschrocken das Lenkrad herumriß und den Motor abwürgte, und jagte dann mit ungefähr dem Doppelten der gerade noch zu verantwortenden Geschwindigkeit die geschwungene Auffahrt zum Flughafen hinauf.
Zwei Minuten später kamen sie mit quietschenden Bremsen vor einer der großen Glastüren zum Stehen. Robert nahm den Gang hinaus, grinste plötzlich, kuppelte wieder ein und fuhr noch fünf oder sechs Meter weiter. Erst als er den Motor abstellte und Stefan den Blick hob, begriff er den Sinn dieser Aktion: Sie hatten anderthalb Wagenlängen vor einem der zahlreichen Halteverbotsschilder angehalten, die die Straße vor dem Abfertigungsgebäude säumten, und Robert war infantil genug, noch ein Stück weiter zu fahren, um genau
darunter
stehenzubleiben. Nicht zum erstenmal fragte sich Stefan vergebens, wieso ein Mann mit Roberts Intelligenzquotienten und seiner Bildung eigentlich so viel Spaß an solch kindischen Spielereien hatte.
Robert sah auf die Armbanduhr und öffnete praktisch in der gleichen Bewegung die Tür. »Noch zwanzig Minuten. Jetzt muß ich mich wirklich beeilen. Du versprichst mir, daß du über alles nachdenkst, bis ich wiederkomme?«
»Nachdenken, ja«, antwortete Stefan. »Aber wie ich mich entscheide -«
»Mehr verlange ich nicht«, fiel ihm Robert ins Wort. »Ich rufe dich an, sobald ich zurück bin.« Und damit stieg er aus und ließ Stefan einfach sitzen. Mit schnellen Schritten umkreiste er den Wagen, öffnete den Kofferraum und holte sein Gepäck heraus, und als Stefan seine Überraschung endlich überwunden hatte und ebenfalls ausstieg, war er bereits im Inneren des Gebäudes verschwunden.
Ziemlich genau eine Stunde später, als er gehofft hatte, kam Stefan nach Hause. Wie er befürchtet hatte, war er auf dem Rückweg in die Stadt prompt in einen Verkehrsstau geraten, und natürlich hatte er keinen Parkplatz gefunden, so daß er mindestens zehn Minuten um den Block gekreist war, ehe er den Wagen schließlich - ebenfalls gute zehn Fußminuten entfernt - abgestellt hatte. Trotz der vergangenen Zeit war er immer noch zutiefst verwirrt. Nachdem Robert im Flughafengebäude verschwunden war, war er für einen Moment nahe daran gewesen, ihm einfach hinterherzustürmen, um ihn zur Rede zu stellen, Termin hin oder her. Für seinen Schwager mochte dieses Gespräch etwas gewesen sein, das sie sozusagen zwischen Tür und Angel erledigen konnten, für ihn nicht. Was Robert ihm im Auto mitgeteilt hatte, bedeutete für Stefan einen geradezu ungeheuerlichen Eingriff in seine Privatsphäre, der ihn mit einer Mischung aus Wut und Ohnmacht erfüllte, die ihn in ihrer Intensität selbst erschreckt hatte. Aber er hatte es nicht getan, und vielleicht war das auch gut so. Er wußte, daß er Robert in einem offenen Streit nicht gewachsen gewesen wäre, und vielleicht...
...
hatte er sogar recht.
Stefan war noch weit davon entfernt, es zuzugeben, aber der Gedanke war einmal da, und er konnte regelrecht spüren, wie er sich wie ein kleines, schmerzhaftes Geschwür in seinem Bewußtsein eingenistet hatte. Jedes Wort, das Robert gesagt hatte, war wahr. Sie waren jetzt seit zwei Wochen zurück, und er hatte in diesen ganzen vierzehn Tagen nicht einmal den Mut aufgebracht, mit seiner Frau über etwas zu reden, das ihr beider Leben vermutlich mehr beeinflussen würde, als sie ahnten.
Und auch Roberts zweiter Vorwurf, der ihn noch viel härter getroffen hatte, stimmte. Es wäre seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit gewesen, Rebecca von diesem Wahnsinnsunternehmen abzuhalten, und wenn es sein mußte, mit Gewalt. Sie waren Journalisten, und entgegen Roberts vielleicht etwas naiver Vorstellung beschränkte sich ihre Auffassung von ihrem Beruf nicht darauf, Sonnenuntergänge am Meer zu fotografieren oder
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