Wolfsherz
bißchen versöhnt. »Woher dieser plötzliche
Sinneswandel?«
Dom schüttelte den Kopf. »Wer sagt, daß es ein Sinneswandel ist. Wenn ich mich richtig erinnere, dann haben Sie mir heute nachmittag kaum die Gelegenheit gegeben, mir eine Meinung zu bilden.« Er seufzte. »Wissen Sie, was uns Polizeibeamten das Leben am schwersten macht? Die meisten Menschen, mit denen wir es zu tun bekommen, haben sofort ein schlechtes Gewissen, wenn sie uns sehen. Selbst wenn es gar keinen Grund dafür gibt. Ich weiß noch nicht genau, ob ich
Ihnen glauben soll, aber ich weiß auch nicht, ob ich Ihnen
nicht
glauben soll.«
»Es ist mir völlig egal, ob sie mir glauben oder nicht«, sagte Stefan. Sein eigener, aggressiver Ton überraschte ihn, aber da war auch noch mehr. Plötzlich empfand er ein fast perfides Vergnügen an dem Gefühl, zur Abwechslung einmal der zu sein, der austeilte. Und so fuhr er, sowohl Wahlbergs tadelnden Gesichtsausdruck als auch Doms herablassenden Blick ignorierend, in unverändert scharfem Ton fort: »Warum tun Sie nicht einfach Ihre Arbeit und lassen uns in Ruhe, vor allem meine Frau? Wenn Sie glauben, ich hätte etwas mit der Geschichte zu tun, dann verhaften Sie mich! Aber solange das nicht so ist, erwarte ich, daß sie uns als das behandeln, was wir sind, nämlich unschuldig.«
»Stefan, was soll das?« mischte sich Rebecca ein. »Herr Dom tut nur seine Pflicht. Wieso bist du so...«
Stefan fuhr mit einer ärgerlichen Bewegung zu ihr herum, begriff aber im letzten Moment, daß es keinen Grund gab, seine schlechte Laune nun an ihr auszulassen und schluckte alles herunter, was ihm auf der Zunge lag. Statt dessen atmete er hörbar ein, zwang sich wenigstens äußerlich zur Ruhe und sagte:
»Ich bin nicht aggressiv. Aber ich will nicht, daß du auch noch in diese dumme Geschichte mit hineingezogen wirst. Es ist schlimm genug, daß dieser Verrückte mir Ärger bereitet.« Noch während er die Worte aussprach wurde ihm klar, daß der Satz nicht ganz deutlich definierte, wen er mit dem
Verrückten
eigentlich meinte, aber er stellte es nicht klar. Solange Dom ihm nicht nachweisen konnte, daß er mit dem Überfall irgend etwas zu tun hatte, konnte er ihm auch nichts anhaben, und es machte ihm immer noch Spaß, Hiebe auszuteilen - oder wenigstens Nadelstiche
Rebecca schien das etwas anders zu sehen, denn sie blickte ihn nun fast wütend an. »Also, das reicht«, sagte sie. »Ich möchte nicht, daß -« Sie sprach nicht weiter, sondern verzog plötzlich schmerzhaft das Gesicht und krümmte sich in ihrem Stuhl, so daß die Krankenschwester rasch herbeisprang und nach dem Kind griff.
Es bestand keine Gefahr, daß es heruntergefallen wäre. Obwohl Rebecca sichtlich heftige Schmerzen erlitt, hielten ihre Hände Eva fest umschlossen. Die Schwester mußte ihr das Kind beinahe gewaltsam entreißen, während sich Stefan hastig neben ihr in die Hocke sinken ließ und nach ihrer Hand griff.
»Rebecca!« sagte er. »Was ist los mit dir?«
»Nichts«, antwortete sie gepreßt. Sie saß immer noch weit nach vorne gebeugt im Rollstuhl und preßte die linke Hand auf ihre Seite. Sie zitterte am ganzen Körper, und plötzlich bedeckte ein dünner Film aus mikroskopisch feinen Schweißtröpfchen ihre Stirn. Stefan konnte zusehen, wie das Blut aus ihrem Gesicht wich. Er wußte, daß ihre Wunden, ganz anders als seine, nicht besonders gut heilten, und er wußte auch, daß sie unter unregelmäßig auftretenden starken Schmerzattacken litt. Aber er war niemals selbst Zeuge davon geworden und hatte nicht gewußt, wie schlimm es war.
Rebecca atmete zwei-, dreimal tief durch die Nase ein und wieder aus und richtete sich dann auf. Stefan hatte den Eindruck, daß diese kleine Bewegung ihre ganze Kraft kostete.
»Es ist schon gut«, sagte sie. »Es... geht schon wieder.«
»Ja«, antwortete Stefan. »Das sehe ich.« Auch er stand auf, drehte sich um und winkte Schwester Marion durch die Glasscheibe heran. »Bringen Sie meine Frau zurück auf ihre Station«, sagte er. »Ich komme später nach.«
»Aber das ist nicht nötig«, protestierte Rebecca. »Ich will...«
»Keine Widerrede«, unterbrach sie Wahlberg. »Ihr Mann hat völlig recht. Sie dürfen sich in Ihrem Zustand nicht überanstrengen. Wenn Sie nicht vernünftig sind, dann werde ich in Zukunft mein Einverständnis nicht mehr dafür geben, daß Sie herkommen.«
Rebecca blickte den Arzt wütend an, sagte aber nichts. Ihre Lippen zuckten immer noch vor Schmerz, und
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