Wolfsherz
machten ihn zugleich auch nachdenklich. Rebecca hatte sich seit ihrer Rückkehr aus Bosnien verändert. Sie war reizbar, aggressiv und viel leichter aus der Ruhe zu bringen als sonst. Er hatte das bisher auf ihre Verletzung und die erheblichen Schmerzen geschoben, die sie litt, auch wenn sie es nicht zugab. Zum allergrößten Teil aber darauf, was zwischen ihm und ihr vorging; denn ganz gleich, ob sie die Diskussion über Eva nun irgendwann einmal führten oder nicht, das Thema stand unausgesprochen zwischen ihnen, in jeder Sekunde, in der sie zusammen waren. Es gab Kämpfe, die mußte man nicht ausfechten, um sie zu führen. Aber er kannte Becci eigentlich als einen Menschen, der immer optimistisch und fast immer fröhlich war, der gerne lachte und im Zweifelsfall lieber einen eigenen Nachteil in Kauf nahm, bevor er einen anderen verletzte. Der Gedanke, daß sich die Veränderung nicht nur auf ihr Verhältnis bezog, sondern Rebecca ganz allgemein betraf, war ihm bisher noch nicht einmal gekommen. Es war ein sehr erschreckender Gedanke. Er konnte damit leben, einen Streit mit ihr auszutragen. In ihrer Ehe hatte es mehrere Krisen gegeben und einige davon hatten sich über Monate erstreckt. Der Gedanke, daß es vielleicht nie wieder so werden würde wie vor ihrem Abenteuer im Wolfsherz, war unerträglich. So unerträglich, daß er ihn nicht an sich heranließ, sondern ihn hastig verscheuchte und seine Schritte beschleunigte, fast, als wolle er tatsächlich vor ihm davonlaufen.
Sie erreichten die Tür zur Intensivstation. Sie war vei schlössen, vielleicht in Anbetracht der vorgerückten Stunde, so daß Stefan den Klingelknopf an der Wand daneben betätigte. Schwester Marion griff automatisch nach Plastikkittel, Haarnetz und Wegwerfschuhen, registrierte dann aber wohl, daß Stefan keine Anstalten machte, es ihr gleichzutun, und zog die Hand mit einem Achselzucken wieder zurück..
Ein leises Summen erklang. Stefan drückte die Tür auf, trat hindurch und machte eine einladende Kopfbewegung zu Marion, vorauszugehen. Es war nicht nur Freundlichkeit. Vielleicht war es besser, wenn erst sie, dann er in Rebeccas Gesichtsfeld trat; selbst wenn es sich nur um einen Sekundenbruchteil handelte. Der Gedanke machte ihm klar, wie sehr er sich vor dem bevorstehenden Gespräch fürchtete - und wie sehr sich ihre Beziehung verändert hatte. Auf eine erschreckend schleichende, fast unmerkliche und doch sehr dramatische Art und Weise. Früher hätte er niemals Angst gehabt, seiner Frau zu begegnen, ganz gleich, was vorher passiert war. Streit hin oder her, sie hatten beide stets das offene Gespräch gesucht, und dieser Weg hatte sich auch immer als der richtige erwiesen. Und vielleicht war der hauptsächliche Grund, aus dem er jetzt mit klopfendem Herzen hinter Schwester Marion herging und auf einer tieferen Ebene seines Denkens verzweifelt nach einem Vorwand suchte, doch noch kehrtzumachen und seine Unterhaltung mit Rebecca auf morgen oder irgendwann zu verschieben, der, daß er einfach zu lange von diesem bisher so erfolgreichen Prinzip abgewichen war.
Sie erreichten das Zimmer am Ende des Flures, traten durch die Zwischentür, und Stefan erlebte eine Überraschung. Er konnte im ersten Moment nicht sagen, ob sie angenehmer oder unangenehmer Natur war; er stand einfach da und starrte mit offenem Mund in den Raum jenseits der Glasscheibe, den er bisher nicht ein einziges Mal betreten hatte. Die Zwischentür war jetzt weit geöffnet, und der vorher so großzügig aussehende Raum wirkte jetzt eng, denn außer Eva und der jugoslawischen Schwester befanden sich darin noch Professor Wahlberg, Rebecca in ihrem Rollstuhl - und Oberinspektor Dom.
Dorn und Wahlberg unterhielten sich offenbar angeregt, während Rebecca das Geräusch der Tür gehört haben mußte, denn sie sah hoch und drehte sich unbeholfen in ihrem Stuhl zu ihm herum. Sie hatte Eva auf ihren Schoß gesetzt und hielt sie mit beiden Händen fest, und auf ihrem Gesicht lag ein so glücklicher Ausdruck, daß Stefan unwillkürlich einen Stich blanker Eifersucht verspürte. Schon im nächsten Moment schämte er sich dessen, aber er wurde das Gefühl trotzdem nicht völlig los. Seit sie zurück in Deutschland waren, hatte er Becci nur noch sehr selten lächeln sehen, und er hatte sie niemals so glücklich erlebt. Zögernd ging er weiter und betrat das Krankenzimmer, während Schwester Marion in dem schmalen Vorraum zurückblieb; vielleicht aus dem banalen Grund, daß es auf der
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