Wolfsherzen - Eine Liebe in Alaska
Lucius sieht ihren Zustand noch nicht als stabil an. Dabei ist ihre Wunde nicht mehr entzündet. Sie heilt langsam ab. Lucy verschweigt ihm, dass ihr manchmal immer noch schlecht ist.
Lucius steht hinter ihr an der Leiter und beobachtet wachsam, wie sie unsicher zu ihm herunterkommt. Dabei kniet sie mit dem verletzten Bein auf einer Sprosse und streckt das andere nach unten aus, um einen weiteren Tritt zu nehmen. Sie wird sicherer, steht schließlich mit angewinkeltem Bein neben ihm auf dem Holzfußboden und atmet erleichtert auf.
Er nickt ihr aufmunternd zu und drückt ihr einen Stock in die Hand, auf welchem sie sich abstützen kann.
Sogleich probiert sie es aus und kommt bis zum Tisch, auf welchem sie sich abstützt und siegessicher zu Lucius blickt.
Er nähert sich ihr lächelnd, bleibt vor ihr stehen und sie küssen sich. „Hey“, raunt er. „Du bist tapfer, Lucy.“
„Ich bin wie du nicht kleinzukriegen.“ Sie kann sich nicht von seinem Mund lösen. „Geh‘ nicht.“
Er seufzt. „Nur für ein paar Stunden“, murmelt er und löst sich von ihr. „Wir brauchen wieder Brennholz.“
Sie zieht den Mund schief. „Ich werde hier sein.“
„Ja. Erwarte nicht zu viel von dir. Es braucht seine Zeit, Baby. Und wenn es weh tut, legst du dich wieder hin, verstanden?“
Sie nickt.
Lucius küsst sie noch einmal auf den Mund und wendet sich dann von ihr ab, um sich seine Daunenjacke überzuziehen. Dann greift er zur Axt, zwinkert Lucy noch aufmunternd zu und ist schon aus der Tür heraus.
Lucy blickt ihm neidisch hinterher. Dann schaut sie sich in der Hütte um und seufzt.
Lucy ist gehandicapter, als sie es sich hätte vorstellen können. Zwar kommt sie in der Hütte gut zurecht, doch die Wunde schmerzt sie bei jeder kleinen Anstrengung und sie klettert oft wieder mühsam auf den Ofen hinauf, um sich auszuruhen. Lucius ist die meiste Zeit draußen beschäftigt und ihr fällt allmählich die Decke auf den Kopf. Mehrmals am Tage stiehlt sie sich raus vor die Tür, steht dick angezogen vor der Hütte im Schnee und betrachtet die Umgebung, um zumindest eine kleine Abwechslung zu haben. Sie lernt, sich in Geduld zu üben, ist dankbar für jeden Fortschritt, den sie macht. Am meisten jedoch dafür, dass sie sich endlich ohne Lucius‘ Hilfe erleichtern kann.
Lucys wahre Geschichte
Das Sonnenlicht fällt vor ihr auf den Tisch. Draußen vor den Fenstern bewegen sich die Bäume in einem leichten Windstoß, so dass etwas Schnee wie Puderzucker von ihnen herab rieselt. Lucy seufzt und legt das Nähzeug beiseite. Sie muss einfach nach Draußen. Die Natur strotzt geradezu vor Energie. Mit geübtem Griff nimmt sie den neben ihr am Tisch lehnenden Stock auf und stützt sich daran hoch. Humpelnd erreicht sie die Tür, zieht ihre Daunenjacke vom Nagel und wirft sie sich über. Als sie dann schließlich auf dem Trampelpfad vor der Hütte im Schnee steht, atmet sie tief durch. Die Luft ist eiskalt, in den vergangenen Tagen ist ordentlich Schnee gefallen. Mittlerweile weiß sie auch, wie es riecht, kurz bevor es schneit und muss lächeln, weil man es wirklich nur schwer beschreiben kann. Der Pulverschnee lässt Abermillionen Schneekristalle in der Sonne glitzern. Ein jedes ist einzigartig anders. Zwei kleine Meisen fiepen in einer nahen Schwarzfichte und picken Samen aus ihren Zapfen. Ein Eichhörnchen huscht über das Dach der Hütte. Und unten am See streunt der schwarze Wolf umher. Er besucht sie oft. Insbesondere die Abfallstelle, auf welche sie immer die Knochenreste ihrer Mahlzeiten werfen. Aufatmend nimmt sie die Schönheit der Natur in sich auf, mit der ihr diese ihre Liebe zu allem zeigen will. Da wird ihr wieder etwas übel. Doch nur so lange, bis sie Luft aufstößt. Gerade will sie sich wieder Richtung Tür wenden, als sie am See noch eine andere Bewegung ausmacht. Sie kneift die Augen zu zwei schmalen Schlitzen zusammen und sieht genauer hin. Jemand steht an Anouks Grab und blickt direkt zu ihr hoch. Ihr stockt der Atem. Nach Körpergröße und Haltung scheint es eine Frau zu sein. Die Gestalt dreht sich zum Kreuz um, berührt es mit der Hand und verharrt kurz. Dann wendet sie sich wieder um und kommt langsam über den See auf die Hütte zu. Lucy atmet tief durch. Sie ist angespannt, misstrauisch, weiß nicht, was sie zu erwarten hat. Immerhin konnte sie bisher keine guten Erfahrungen mit Besuchern machen. Raven hatte Gefahr bedeutet.
Es dauert länger als sie erwartet hat, bevor sie ein nahes Geräusch
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