Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder
und immer wieder Toras Nummer an, bis ihr Zeigefinger und Mittelfinger wehtaten. Dann kehrte sie rechtzeitig zum Fernseher zurück, um das Resultat zu sehen. Tora war weitergekommen. Natürlich.
Sie verbrachte den Rest des Abends damit, Tora in verschiedenen Internetforen zu verteidigen. Ihre Anhänger waren etwas zahlreicher geworden, aber immer noch gab es eine große Mehrheit von Leuten, die Tora mehr oder weniger miserabel fanden. Wahrscheinlich waren diejenigen, die Tora mochten, so von ihr eingenommen, dass sie ihr durch hartnäckiges Anrufen in die nächste Runde geholfen hatten.
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Teresa betrachtete viele Dinge mittlerweile anders. Seit sie begonnen hatte, alles über Wölfe zu lesen, hatte sie über sich selbst in Wolfsgestalt fantasiert. Die Zähne, die Geschmeidigkeit, die Gefährlichkeit. Der einsame Wolf. Sie war der einsame Wolf, der durch die Wohnsiedlungen streifte und den ängstlichen, kleinen Menschen einen Schrecken einjagte, sodass sie sofort die Lokalredaktion anriefen.
Aber in der Schule hatte sie den anderen Aspekt des Menschen als Wolf kennengelernt und gespürt: das Rudelverhalten. Das soziale Spiel, die Hackordnung. Sie hatte sich so für Tora engagiert, dass ihre Meinung als Lackmuspapier für die Ordnung, den Zusammenhalt zwischen den Menschen in ihrer Umgebung dienen konnte.
Sie sah. Sah, wie es einem Alphaweibchen wie Celia gestattet war, festzulegen, wie die Gruppe zu denken habe. Wenn sie kläffte, hieß es einfach, die Ohren anzulegen und zu lachen, zu wimmern, Unterwerfung zu zeigen. Sonst drohte der Biss. Ein abschätziger Kommentar über deine neuen Hosen. Sofort fanden alle, dass diese Hosen verdammt hässlich waren.
Die Jungen standen zusammen und knufften einander an, physisch oder verbal. Wer durfte wie gemeine Sachen zu wem sagen und über wen durfte wiederum dieser sich lustig machen, ohne dass das Rudel ihm seine Missbilligung demonstrierte, indem es sich von ihm abwandte?
Bei Wölfen wurde die Rangordnung im Großen und Ganzen schon im Welpenstadium bestimmt, aber weil die Schulklassen neu zusammengestellt worden waren, handelte es sich hier eher um die zweite Phase im Leben der Wölfe, in der die Hierarchien festgelegt wurden: der Eintritt der Geschlechtsreife.
Teresa sah zum ersten Mal in aller Deutlichkeit, wie dieser Kampf vor ihren Augen in den Fluren, auf dem Pausenhof, in der Schulmensa ausgefochten wurde. Tag für Tag. Und esmachte ihr Angst. Der einsame Wolf mag eine romantische Vorstellung sein, aber in der Praxis handelt es sich um ein Tier, das zum Sterben bestimmt ist.
Die Grüppchenbildung in den Pausen, der Kleidungscode, der Musikgeschmack und die Insiderwitze, die das Rudel zusammenschweißten. Teresa hätte gerne darauf verzichtet, in irgendwelchen SMS-Verteilern zu stehen, den ganzen Tratsch mitzubekommen oder auf Partys eingeladen zu werden, sie wollte einfach nur in Ruhe gelassen werden.
Aber das wurde sie nicht mehr. Sie hatte sich zwar nie auf den Rücken gelegt und die Kehle gezeigt und wurde deswegen auch nicht ausdrücklich gemobbt, aber es wurde gestichelt und gespottet. Ein lustiger Kommentar über den Umfang ihrer Schenkel unter der Dusche, ein Junge, der Grimassen schnitt, während sie an ihm vorbeiging. Eine anonyme SMS: »Rasier dich unter den Armen, bevor einer kotzt.«
Mehr nicht, aber mehr als genug.
Sie nahm an einem ununterbrochen laufenden Idol teil, bei dem sie nicht gewinnen konnte. Sie konnte höchstens mit Würde verlieren.
Bei dem im Fernsehen übertragenen Wettbewerb stand die erste Mottoshow an. Elf Künstler sollten auf zehn reduziert werden, und das Thema lautete »Achtzigerjahre«. Teresa hatte keine Zeitungen gelesen und hatte keine Ahnung, was sie zu sehen bekommen würde. Als das Programm begann, erfuhr sie, dass Tora als Fünfte auftreten würde.
Die vier, die vorher kamen, betrachtete sie als Vorgruppe. Arvid und Olof begannen mit einem ironischen Headbanging, als es einem der Jungen misslang, einen auf taff zu machen, während er »Poison« zum Besten gab. Maria fand es nett, als ein pummeliges Mädchen fast platzte, als sie mit aller Kraft »The greatest love of all« schmetterte.
Dann kam Tora. Teresa kroch in einen Tunnel, an dessen Ende nur der Fernseher zu sehen war. Alles wurde ausgeschaltet, sogar wortwörtlich. Nur ein einsames Scheinwerferlicht auf der Bühne, wo Tora Larsson in einem einfachen, schwarzen Kleid stand, das mit dem Hintergrund verschmolz, sodass fast nur noch ihr Gesicht zu sehen
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