Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder
erkennen konnte. In der linken Hand hielt sie sein Champagnerglas, der Fuß fehlte.
Den hielt sie in der rechten Hand. Den Fuß, an dem ein zehn Zentimeter langer Stiel saß, der von seinem Blut rot glänzte. Tora holte erneut mit dem Glasfuß aus, und Max Hansen schrie auf und krümmte sich zusammen. Eine Sekunde später folgte der Stich zwischen die Schulterblätter. Der Stiel drang tief in ihn ein und blieb stecken.
Er schrie. Die unregelmäßige Bruchkante des Glases musste beim Eindringen einen Nerv zerstört haben, denn er begann in Spasmen zu zucken. Ein dumpfer, pochender Schmerz. Es gelang ihm, den Kopf zu heben und um Gnade zu flehen, aber Tora war nicht mehr da. Er zog sich am Bettgestell hoch und kam auf die Füße. Ein hämmernder Schmerz, es knackte. Dann hörte er, wie die Tür geöffnet wurde.
6
Irgendetwas stimmte nicht mit diesem Max Hansen. Das hatte Teresa schon gespürt, als er die Tür des Hotelzimmers geöffnet hatte. Mit seinem Gesicht stimmte etwas nicht oder mit seinem Tonfall. Vielleicht waren alle Menschen in der Musikindustrie so, aber sie hätte Theres niemals allein mit ihm gelassen, wenn es nicht notwendig gewesen wäre und wenn Theres nicht gesagt hätte, dass sie es wollte. Sie wollte ihre Scheibe machen.
Aber es kam überhaupt nicht infrage, dass sie in die Rezeption hinunterging. Sobald Max Hansen die Tür geschlossen und verriegelt hatte, krabbelte Teresa heran und legte das Ohr an die Tür. Sie konnte die Stimmen hören, aber nicht, was sie sagten. Nach einer Weile hörte sie Theres »Tausend und eine Nacht« singen und empfand einen Hauch von Eifersucht. Es war ja ihr gemeinsames Lied. Was Theres allerdings nicht wusste.
Und wenn sie es gewusst hätte? Hätte das einen Unterschied gemacht?
Teresa besaß eine sentimentale Ader. Sie mochte das, was man in der Poesie elegische Stimmungen nennt. Eine grummelnde, unscharfe Sehnsucht nach dem Vergangenen, selbst wenn es nicht schön gewesen war. Sie konnte von einer süßen Melancholie ergriffen werden, wenn sie Bananas in Pyjamas im Fernsehen sah, obwohl sie es nicht besonders gemocht hatte, als es das erste Mal ausgestrahlt worden war.
Theres war der am wenigsten sentimentale Mensch, den sie jemals getroffen hatte. Für sie existierte nur das Jetzt, und wenn Theres von Dingen erzählte, die in der Vergangenheit lagen, klang es, als würde sie laut aus einem Geschichtsbuch vorlesen. Kalte Fakten, die keinerlei Relevanz für die Gegenwart besaßen.
Aus dem Zimmer erklang ein Schrei. Teresa sprang auf die Füße und zerrte an der Klinke, hämmerte gegen die Tür. Als niemand öffnete, hämmerte sie noch einmal dagegen. Einen Augenblick später wurde die Tür geöffnet, und Theres stand vor ihr, nackt. Über ihren Bauch liefen Blutspuren. Eine Hand war rot von Blut, und in der anderen hielt sie ein halb volles Champagnerglas ohne Fuß.
»Was hast du … was ist …«
Bevor Teresa eine vernünftige Frage formulieren konnte, sah sie Max Hansen ins Badezimmer fliehen. Auch er war nackt, und bevor er die Tür hinter sich schloss, konnte sie einen Blick auf seinen Rücken erhaschen. Aus all dem Roten stach ein T-förmiger Gegenstand heraus, ein geöffneter Hahn, aus dem Blut floss.
»Komm«, sagte Theres. »Hilf mir. Ich verstehe nicht.«
Wenn das Wort »helfen« nicht gefallen wäre, hätte Teresa die Beine unter die Arme genommen und wäre abgehauen. Das war einfach zu viel. Aber Theres hatte um Hilfe gebeten. Also musste sie helfen. Teresa betrat das Zimmer und schloss die Tür hinter sich.
»Hier«, sagte Theres und hielt ihr das abgebrochene Glas hin. »Magst du so etwas? Ich mag es nicht. Es schmeckt schlecht.«
Teresa schüttelte den Kopf. »Was … habt ihr getan?«
»Ich habe gesungen«, sagte Theres. »Dann habe ich die Kleider ausgezogen. Dann hat er versucht, mich aufzuessen. Ich hatte keine Angst. Ich wusste, dass ich ihn tot machen konnte.«
»Du, zieh dich an. Wir müssen verschwinden.«
Als Teresa hinter Theres das Zimmer betreten hatte, entdeckte sie die Kamera und das rote Licht, das anzeigte, dass sie auf Aufnahme geschaltet war. In der Schule hatten sie das gleiche Modell, und während Theres sich anzog, spulte Teresa den Film zurück und schaute sich an, was passiert war, bevor sie in das Zimmer gekommen war. Theres’ Weigerung, Max Hansens hartnäckiges Drängen, das Ergebnis. Sie drückte auf Eject, nahm die DVD heraus und steckte sie sich in die Tasche.
Theres war mittlerweile wieder angezogen. Der
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