Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder
Bushaltestelle aufbrachen, während Theres und Teresa auf den Decken sitzen blieben. Teresa ging eine Runde, fand das kleine Stück Fleisch, das Theres aus der Augenbraue des Typs gebissen hatte, und drückte es mit der Schuhsohle in die Erde. Dann setzte sie sich wieder.
»Wird das gut?«, fragte sie. »Nächstes Wochenende?«
»Ja«, sagte Theres. »Es ist gut. Sie werden aufhören, Angst zu haben. Wie du.«
Teresa musste lange Zeit warten, bis Theres den Kopf zum Wolfsgehege drehte und nicht sehen konnte, was sie machte. Sie krabbelte schnell heran und küsste sie auf die Wange.
»Entschuldige«, sagte sie. »Danke.«
4
Alle Menschen tragen eigentlich einen anderen Namen.
Am Dienstagabend vor der Schulabschlussveranstaltung stand Teresa vor dem Spiegel im Badezimmer und versuchte ihren anderen Namen zu finden. Sie war als Teresa aufgewachsen, hatte Tausende von Malen gehört, wie Menschen sie so genannt hatten. Aber war das wirklich ihr Name ?
Sie hatte den Gedanken schon früher gedacht, aber jetzt war er wieder aufgetaucht, als Johannes sie vor ein paar Stunden angerufen hatte. Wieder einmal hatte er behauptet, dass sie so wunderlich sei, dass er das Gefühl habe, dass irgendetwas nichtstimme, und könnten sie sich nicht treffen? Er hatte immer und immer wieder den Namen Teresa verwendet, bis Teresa sich dieser Person ganz fremd fühlte, die er ständig ansprach. Trotzdem legte sie den Hörer mit dem gruseligen Gefühl auf, dass er recht hatte. Dass sie sich selbst verloren hatte, dass sie sich verirrt hatte. Oder eher: dass es dieser Teresa, an die er sich gewandt hatte, so gegangen war. Aber war sie überhaupt noch Teresa? War das ihr Name?
So dachte sie, während sie vor dem Spiegel stand und auf der Jagd nach einem Anhaltspunkt ihr Gesicht musterte. Sie fand, dass ihre Augen härter geworden waren, ganz buchstäblich. Als ob der Glaskörper kein geleeartiger, mit Flüssigkeit gefüllter Körper war, sondern in Wirklichkeit aus Glas bestand, hart und undurchdringlich.
»Du bist wunderlich«, sagte sie zu sich selbst. »Du bist hart. Du bist wunderlich. Und hart.«
Sie mochte die Worte. Sie wollte diese Worte sein, wollte, dass sie ihr passten wie ihre Stiefel, dass sie sich dicht an sie schmiegen und sie sein sollten.
»Meine Worte. Wunderlich. Hart. Wort. Hart. Wunderlich.«
Urd. Urd.
Der Körper sagte ja, obwohl sie sich nicht erinnerte. Wo hatte sie dieses Wort schon gehört? War es ein Name? Sie ging zum Computer und öffnete Wikipedia.
Urd. Die ursprüngliche, möglicherweise einzige Schicksalsgöttin der nordischen Mythologie. Eine der drei Nornen. Mit ihren Schwestern spann sie den Lebensfaden und schnitt ihn ab, und ihr Name kam von dem isländischen Wort für unglückliches Schicksal.
Alle Menschen tragen eigentlich einen anderen Namen. Ich heiße Urd.
Es war nichts, was sie erzählen würde, und sie würde nicht versuchen, andere Menschen dazu zu bringen, sie so zu nennen. Aber in ihrem tiefsten Inneren würde sie es wissen. So, wie dieStiefel an ihren Füßen saßen und ihr feste Schritte auf der Erde schenkten, würde der Name sie von innen verstärken und ihre Zweifel zerstreuen.
»Urd!«
Am Mittwoch durchlebte sie die Abschlussveranstaltung blind, obwohl ihre Augen geöffnet waren. Leichte Sommerkleider und zwitschernde Stimmen, falsche Lieder und hier und da ein kleines Tränchen beim Gedanken an den Abschied vor dem langen Sommer.
Es hatte nichts mit ihr zu tun, nichts mit Urd, also konnte sie es auch nicht sehen. Ihre Gedanken waren bei dem Rudel.
5
Am Freitagnachmittag fuhr Teresa nach Svedmyra und holte Theres ab. Schon in der Roslagsbahn hatten sie Gesellschaft von einigen der anderen bekommen, und an der Bushaltestelle standen ebenfalls schon ein paar Mädchen und warteten. Als sie in die Linie 621 stiegen, fehlten nur noch Malin und Cecilia.
Nachdem ein paar SMS hin- und hergeschickt worden waren, klappte alles wie verabredet. Anna L. kam und holte jeweils ein paar von ihnen mit einem kleinen Auto ab, das so rostig war, dass man sich kaum darin unterhalten konnte, weil sowohl der Schalldämpfer als auch der Boden Löcher hatten. Schreiend erklärte Anna, dass sie den Wagen für dreitausend Kronen im Internet gekauft habe.
Als Beata »Wochenendhaus« gesagt hatte, hatte Teresa sich etwas ganz anderes vorgestellt als das, was dort eingeklemmt zwischen den Fichten stand. Möglicherweise war es tatsächlich einmal ein Wochenendhaus gewesen, aber dann war es so oft
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