Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder
rührte, dass sie im landläufigen Sinne »gesund« war. Sie war sicher und harmonisch, ja. Sie fühlte sich mit sich und ihrem Leben wohl, ja. So weit, so gut, und die volle Punktzahl auf der Liste des Psychodoktors. Aber den Grund für die guten Noten kannten allein sie und Theres. Dass sie eine Mörderin war, dass sie ein Wolf war, dass sie die gewöhnlichen menschlichen Rücksichten verworfen hatte.
Hätte sie darüber in dem gemütlichen Büro der Ärztin Rechenschaft abgelegt, wäre sie eher auf unbestimmte Zeit weggeschlossen worden statt so gut wie gesundgeschrieben. Also wusste Teresa, dass sie in der konventionellen Bedeutung des Wortes nicht gesund war, dagegen aber durchaus in ihrer eigenen, und das war das Wesentliche.
Das Problem war … die Abstinenz.
Es ging so weit, dass sie am Küchentisch sitzen und Olof dabei beobachten konnte, wie er Butterbrote in sich hineindrückte und gleichzeitig in einer Spielezeitschrift las. Sie konnte seinen Nacken studieren und mit den Blicken von seinem hinteren Haaransatz zu dem Nudelholz aus Marmor wandern. Eines Tages, als Maria krank war und zu Hause auf dem Sofa lag und alte Dean-Martin-Platten hörte, betrachtete Teresa ihre dösende Mutter, während sie mit den Fingern über den Griff des Feuerhakens strich.
Solche Sachen.
Ganz gleich, wie gut Teresa sich zur Zeit fühlte, und ganzgleich, ob Dean Martin gerade »Brother, you can’t go to jail for what you’re thinking« sang, sie hätte gerne auf diese Fantasien verzichtet. Aber sie drängten sich auf, und sie konnte sie nicht abschütteln.
Als Teresa am Sonntag, vier Tage nach Max Hansens Mail, Theres in Svedmyra abholte, hatten sie immer noch nichts entschieden. Es waren noch zwei Wochen bis zum sechsundzwanzigsten Juni, und Teresa hatte jeden Morgen die News im Internet kontrolliert, voller Besorgnis, dass Max Hansen mit dem, was er wusste, an die Öffentlichkeit gegangen sein könnte. Bis jetzt war es noch nicht passiert, aber Teresas Bauchgefühl sagte ihr, dass es nicht mehr lange dauern würde.
Sie unterhielten sich in der U-Bahn, und sie unterhielten sich im Bus nach Djurgården. Flüsternd, weil sehr viel mehr Leute an Bord waren als beim ersten Mal, als sie diese Strecke gefahren waren. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass sie Max Hansen zusagen sollten. Ob Theres dann wirklich kommen würde, war eine andere Sache. Teresa hatte gewiss nicht vor, zu Max Hansens Sprachrohr zu werden und zu versuchen, Theres davon zu überzeugen.
Wie gewöhnlich waren sie etwas früher als die anderen hinausgefahren, und als sie sich der Stelle vor dem Wolfsgehege näherten, saßen dort drei junge Männer. Es war auch früher schon vorgekommen, dass andere vor ihnen da gewesen waren, und in solchen Fällen bediente sich die ganze Gruppe der ebenso einfachen wie effektiven Methode, die Eindringlinge so lange anzustarren, bis sie sich trollten.
Die Männer waren um die zwanzig und hatten weder Decken noch Bier oder eine Musikanlage dabei, sodass Teresa vermutete, dass sie nicht mehr lange bleiben würden. Bis auf Weiteres breiteten Theres und sie ihre Decken etwas weiter oben aus, setzten sich und unterhielten sich weiter.
Drei Schatten fielen über sie. Sie waren so in ihr Gespräch vertieft gewesen, dass sie gar nicht gemerkt hatten, wie sich dieMänner ihnen genähert hatten. Als Teresa zu ihnen aufschaute, konnte sie trotz des Gegenlichts sofort erkennen, dass etwas nicht stimmte, und gleich danach bemerkte sie den Geruch, klar und deutlich: Bedrohung .
Alle drei hatten die Hände tief in den Taschen ihrer weiten Jogginganzüge versenkt und sich so aufgestellt, dass Theres und Teresa zwischen ihnen und dem Zaun saßen.
Der Typ in der Mitte ging in die Hocke. Unter dem dünnen Stoff seiner Hosen konnte Teresa seine aufgepumpten Beinmuskeln erkennen, und seine Oberarme waren so dick wie ihre eigenen Oberschenkel.
»Hallo«, sagte er und nickte Theres zu. »Du bist Tesla, oder?«
Theres, die von der Attitüde der Männer vollkommen unberührt schien, nickte und sagte ihren Spruch auf: »Wir. Ich singe. Teresa schreibt die Worte.«
»Aha, soso«, sagte der Typ. »Du bist ja ein ganz süßes Mädchen.« Er stieß Teresas Schulter an, als ob es sich bei ihr nur um irgendeinen Gegenstand handelte, der im Weg stand. »Wozu könntest du so eine Tonne hier auch sonst gebrauchen?«
»Ich verstehe nicht«, sagte Theres.
»Nee. Sieht so aus. Als würdest du nicht so gut verstehen.«
»Was wollt ihr?«, sagte Teresa.
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