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Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder

Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder

Titel: Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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sagte: »Wir wollen doch die Nachbarn nicht wecken, oder?« Dann setzte er sich zu den anderen ins Auto, und der Motor heulte auf, hustete eine Abgaswolke über Jerry hinweg.
    Sie begannen ihn über den Schotter zu schleifen, und sein Hemd riss auf, überließ seinen nackten Rücken den scharfenSteinen. Er fiel in ein schwarzes Loch, als er sich vorstellte, wie die Haut, die Muskeln von seinem Körper gerissen wurden, bis das nackte Skelett gegen die Erde schrie. Er wollte ohnmächtig werden, er wollte schnell sterben, er wollte …
    Er merkte nicht einmal, dass das Auto wieder angehalten hatte, zehn Meter hinter dem Punkt, von dem es gestartet war. Alle drei stiegen aus dem Wagen, bauten sich um ihn herum auf und pissten auf ihn. Dann hakten sie ihn von der Anhängerkupplung ab. Er hörte eine Stimme in sein Ohr sprechen: »Nächstes Mal das volle Programm, okay?«
    Türen wurden zugeschlagen, und Schottersteine spritzen in sein Gesicht, als das Auto mit durchdrehenden Reifen startete und davonfuhr. Er blieb liegen und starrte zum Nachthimmel und zu den klaren Sternen des Winters hinauf. Der Rücken brannte, und er atmete schnaufend durch die Nase.
    Es dauerte zehn Minuten, bis er in der Lage war, aufzustehen und sich das Klebeband von den Lippen zu reißen. Die Füße waren immer noch zusammengebunden, und er roch nach Scheiße und Pisse. Kriechend und hüpfend bewegte er sich auf die Wohnhäuser und das Licht zu, spürte es kaum, als er hinfiel und sich die Wange an einem scharfen Stein aufriss. Etwas in ihm war unwiederbringlich kaputtgegangen.
    24
    Nachdem sie einen Monat lang nichts mehr von Jerry gehört hatte, begann Laila sich Sorgen zu machen. Es gab Zeiten, da hatte Jerry sich monatelang nicht gemeldet, aber meistens telefonierten sie wenigstens jede zweite Woche miteinander. Aber Jerry rief nicht an, und wenn Laila anrief, meldete sich niemand.
    Vielleicht hätte sie die Sache genauer untersucht, vielleicht sogar das Verbotene getan und Jerry zu Hause besucht, wenn sie nicht ein neues Projekt gehabt hätte, das einen Großteil ihrer Zeit und ihrer Gedanken in Anspruch nahm.
    Sie hatte begonnen, dem Mädchen das Lesen beizubringen.
    Sie konnte sich immer noch nicht vorstellen, wie die Zukunft aussehen sollte. Das Mädchen war jetzt acht, vermutlich bald neun Jahre alt. Was würde passieren, wenn sie älter wurde? Wenn sie in die Pubertät kam, wenn sie ein Teenager war, wenn sie … erwachsen wurde? Würden sie und Lennart als Rentner eine erwachsene Frau in ihrem Keller versteckt halten, die noch nie einen Schritt vor die Tür gesetzt hatte?
    Das konnte sie sich nicht vorstellen, und deshalb lebte Laila von einem Tag zum anderen. Sie hatte sich eine Kompensationsfantasie erschaffen, in der das Mädchen ein Flüchtling war, das von Ausweisung bedroht war und das sie deshalb verstecken mussten. Sie hatte von solchen Fällen in der Zeitung gelesen, und ihre Fantasie passte sehr gut zu der unbehaglichen Geschichte, die Lennart dem Mädchen aufgetischt hatte. Es gab eine feindselige Umwelt, die dem Mädchen auf den Fersen war, und falls sie sich zeigen sollte, würde sie deportiert, vielleicht sogar getötet werden. Es war wie bei Anne Frank, und es erleichterte Lailas Gemüt.
    Weil das Mädchen nicht reden wollte, war es gar nicht so einfach, ihr das Alphabet beizubringen, sie dazu zu bewegen, Wörter nachzusprechen und die Laute zu imitieren, die mit den Buchstaben korrespondierten. Zu Anfang war es vollkommen unmöglich gewesen. Laila hatte zum Beispiel ein A auf ein Blatt Papier geschrieben und den Buchstaben laut vorgesprochen. Das Mädchen hatte gar nicht auf das Papier geschaut, hatte keinen Mucks gesagt.
    Laila versuchte es mit anderen Buchstaben, mit anderen Möglichkeiten, sie zu schreiben oder zu illustrieren. Sie zeichnete Bilder von Dingen, die das Mädchen kannte, und schrieb ihre Namen mit großen Buchstaben daneben, sprach sie aus. Das Mädchen war völlig desinteressiert. Sie saß nur da und spielte mit ihrem Bohrer oder legte mit Nägeln schnurgerade Reihen, ohne Lailas Anwesenheit überhaupt wahrzunehmen.
    Als Laila nach einer Weile auf die Lösung des Problemskam, hätte sie sich selbst für ihre Dummheit ohrfeigen können. Es war doch so einleuchtend. Sie musste die Buchstaben singen . Das Mädchen imitierte sie. Laila hielt sich den Zettel mit dem Buchstaben vors Gesicht, damit das Mädchen den Blick nicht abwenden würde, und sang »Aaa«, als ob der Buchstabe selbst es singen würde.

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