Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder
plötzliche Trauer ergriff von Lennart Besitz, und er beschloss, dass er diesmal eine Ausnahme machen wollte.
Früh am folgenden Morgen nahm er das Mädchen mit in den Flur. Als er die Haustür öffnete, riss sie ihre Augen auf. Sie versuchte sich von seiner Hand loszureißen und füllte ihre Lungen mit Luft, um loszuschreien. Doch Lennart konnte noch sagen: »Pssst! PSSSSST! Sie können uns hören!«
Der Mund des Mädchens klappte zu, und ihr kleiner Körper begann zu beben, als Lennart vorsichtig durch die geöffnete Haustür in den Garten hinausspähte. »Schleichen«, sagte Lennart. »Leise. Vorsichtig.«
Er schob das Mädchen durch die Tür nach draußen, bis zum nächsten Baum, an dem sich ein Nistkasten befand. Allerdings musste er sie tragen. Ihr Körper war starr und hart wie Eis.
Es war Mai, und das Gezwitscher der Vögel brauste durch Büsche und Bäume. Lennart richtete den Kopf des Mädchens nach oben zum Nistkasten, der genauso aussah wie derjenige, den er am vorhergehenden Abend gebaut hatte.
Plötzlich öffnete sich ihr Mund, und sie entspannte sich in seinen Armen. Ein Rotkehlchen kam aus dem Nistkasten, schaute sich eine Weile mit ruckartigen Bewegungen um und flog davon. Das Mädchen folgte ihm mit dem Blick, und ein Speichelfaden rann aus ihrem Mundwinkel.
Lennart hatte keine Ahnung, wie sie das, was sie gerade gesehen hatte, deuten würde. Dass man Vögel hervorbringen konnte, indem man Löcher bohrte, oder dass sie verschwanden, weil man Löcher bohrte, oder ob sie in Wirklichkeit alles ganz ausgezeichnet begriff?
Er stellte sie auf den Boden und sagte: »Dort wohnen die Vögel, sie fliegen herum …«
Aber er hatte kaum den Satz begonnen, als sie schon zum Haus gestürmt war und die Haustür hinter sich zugeknallt hatte.
23
Im Februar 2000 hielt erneut die Gier Jerry in ihren Fängen, und das lag nur an Apple. Der Power Mac G4 mit 500-MHz-Prozessor sollte endlich nach dem ganzen Hickhack mit Motorola zu einem Preis von etwa dreißigtausend Kronen in den Handel kommen. So weit, so gut. Er hatte das Geld, hatte bereits ein Jahr vorher angefangen zu sparen, nachdem von den ersten Gerüchten berichtet worden war.
Aber dann war da noch das Cinema Display. Gleichzeitig mit dem neuen G4 brachte Apple auch einen 22’’-Flachbildschirm mit der besten Auflösung und dem schönsten Design aller Zeiten auf den Markt, und der sollte ebenfalls rund dreißig Riesen kosten.
Der klobige iMac, den Jerry auf seinem Computertisch stehen hatte, kam ihm plötzlich wie ein Steinzeitwerkzeug vor. Er hatte angefangen, mit Cubase 4 herumzuspielen, um damit ein paar Stücke zu schreiben, aber es ging viel zu langsam. Er wollte auf 4.1 updaten, er wollte es durch den 500-MHz-Prozessor jagen, und er wollte alles auf dem großen, flachen Schirm betrachten.
Es wurde zu einer Besessenheit. Wenn dieses Silberchassis unter dem Tisch und der stilreine Bildschirm mit den durchsichtigen Kanten darauf stehen würde, wäre alles perfekt . Dann gäbe es nichts mehr, wonach man noch streben könnte. Er lechzte nach diesem Rechner, wie ein Gläubiger nach Erlösung lechzt. Wenn die Ausrüstung erst einmal sein war und auf ihrem Platz stand, könnte er einen Frieden und eine Reinheit empfinden, die den Schmutz aus seinem Leben wischen würde.
Aber die Seligmachung erforderte ihr schmutziges Handwerk. Er musste mehr Zigaretten verkaufen. Schon im Dezember hatte er die Bestellmenge verdoppelt, und im Januar nahm er Ingemar hundertfünfzig Stangen ab, wobei er den Preis gegenüber dem Vormonat um zehn Kronen erhöhte.
Die Nachfrage der Stammkunden blieb weit unter Jerrys Angebot, egal wie tapfer sie rauchten. Nachdem Mats, der Chef der Billardhalle, sein Nebengeschäft entdeckt hatte, war Jerry gezwungen gewesen, den Verkauf in seine Wohnung zu verlagern. Er hatte seine Stammkunden gebeten, allen Bekannten zu erzählen, dass es unter Jerrys Adresse billige Zigaretten zu kaufen gab.
Die Bekannten kamen, und bald auch deren Bekannte. Im Februar hatte Jerry über die dreißigtausend Kronen hinaus, die er bereits hatte, weitere zwölftausend zusammengekratzt und gab noch eine große Bestellung bei Ingemar auf.
In der folgenden Woche bekam er Besuch, als er in der Billardhalle stand. Ein Typ in seinem Alter mit kurz geschnittenem Haar und einem Tribal-Tattoo, das sich unter der Motorradjacke den Hals hinaufschlängelte, legte seine Arme auf den Tresen, schaute Jerry in die Augen und sagte, dass seine Geschäftstätigkeit ab
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