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Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder

Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder

Titel: Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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Wenn sie das Blatt schnell herunternahm, konnte sie sehen, dass das Mädchen hingeschaut hatte, bevor ihr Blick wieder auswich. Mit den anderen Vokalen verfuhr sie genauso.
    Es dauerte ein paar Wochen, aber schließlich passierte es. Das Mädchen setzte das Symbol mit dem Laut in einen Zusammenhang. Wenn Laila sich den Zettel mit dem U vor das Gesicht hielt, wurde es für eine Weile still, während das Mädchen auf den Ton wartete. Als er nicht kam, machte sie ihn selbst, ein brummendes, aber vollkommen reines »Uuu …«
    Lennart war gerade wieder viel im Studio, aber er hörte Lailas Geschichten über die Fortschritte des Mädchens zu, machte ihr Mut und kam mit Vorschlägen. Als Laila zum Beispiel das Problem mit den Konsonanten ansprach, schlug Lennart vor, dass sie von Liedtexten ausgehen sollte, die das Mädchen bereits kannte. Sie könnte einzelne, einfache Wörter herausnehmen und sie von dem Mädchen singen lassen.
    Laila entschied sich, mit »Tausend und einer Nacht« von Lasse Lönndahl anzufangen, weil Lasse die Tendenz hatte, auf den Vokalen zu verweilen, aber die Konsonanten trotzdem deutlich zu phrasieren, was es einfacher machte, einzelne Wörter daraus zu singen.

    Tausend und eine Nacht lag ich allein müde und träumend …
    Laila begann mit dem Wort »ich«, hielt den Ton, blieb auf dem Wort stehen, während sie das Blatt Papier mit dem geschriebenen Wort vor sich hochhielt. »Iiiichch … iiichch …« Es brauchte viele Wiederholungen und Durchgänge durch dasLied mit plötzlichen Unterbrechungen und viel Schreiberei, aber am Ende hatte das Mädchen sozusagen den Takt aufgenommen.
    Als es auf den Sommer zuging, konnte Laila ein Blatt Papier mit dem Wort »Tausend« oder »warten« in die Höhe halten, und das Mädchen sang, was auf dem Zettel stand.
    Laila hatte immer wieder angerufen, schließlich war sie sogar zu Jerry nach Hause gefahren und hatte sich unter Strapazen die Treppe zu seiner Wohnung hinaufgeschleppt und geklingelt. Niemand hatte geöffnet, aber als Laila durch den Briefschlitz lugte, konnte sie sehen, dass Briefe und Reklame herausgeholt worden waren. Jerry musste irgendwo stecken. Sie hatte durch den Briefschlitz gerufen, ohne eine Antwort zu bekommen.
    Eines Tages Anfang Juni stand er plötzlich vor ihrer Haustür. Laila erkannte ihn kaum wieder, und es kam ihr vor, als würde sie einen Fremden bitten, am Küchentisch Platz zu nehmen. Als Lennart aus dem Studio kam, reagierte er genauso, und einen Augenblick lang wirkte es, als wolle er sich nach dem Namen des Gastes erkundigen.
    Wenn Laila durch bewussteres Essen seit dem Winter vielleicht zehn Kilo abgenommen hatte, war Jerry in kürzerer Zeit das Dreifache an Gewicht losgeworden. Er hatte Tränensäcke unter den Augen, und ein paar graue Strähnen waren an seinen Schläfen aufgetaucht. Über seine linke Wange lief eine schlecht verheilte Narbe. Die selbstverständliche physische Autorität, mit der er einen Raum einnehmen konnte, war verschwunden. Er hatte begonnen, Lennart zu ähneln.
    Eine Weile saßen sie schweigend zusammen. Dann fragte Laila: »Was ist mit dir passiert, Schatz?«
    Ein Schatten seines früheren ironischen Lächelns huschte über Jerrys Mund: »Tjaa-a, was ist passiert? Ich bekomme Frührente, beispielsweise.«
    »Frührente? Du bist gerade dreiunddreißig.«
    Jerry zuckte mit den Schultern. »Ich konnte sie überzeugen.«
    »Wovon?«
    »Dass ich nicht arbeiten kann. Dass ich am Ende bin. Dass ich nicht mehr unter Leute gehen kann.«
    Laila streckte sich über den Tisch, damit sie Jerrys Arm streicheln konnte, aber er zog ihn weg. Sie sagte: »Aber Schatz, warum denn?«
    Jerry kratzte sich an der Narbe, die blass unter seinem Stoppelbart hervorschien, schaute Laila in die Augen und sagte: »Weil ich sie hasse. Weil ich ihren Anblick nicht ertragen kann. Weil ich Angst vor ihnen habe. Reicht das?«
    Jerry stand auf, und als Laila ihn daran zu hindern versuchte, entwand er sich ihrem Griff. Er holte die Gitarre, die er im Flur abgestellt hatte, und ging hinunter in den Keller.
    25
    Es war wie eine Heimkehr, trotz allem. Als er den wohlbekannten Duft von Holz, Rauch, Waschmittel und den gewöhnlichen Kellergeruch wahrnahm, wurde er in seine Kindheit zurückversetzt. Er fühlte sich wie eine leere Hülle und nahm dieses Gefühl dankbar an, da es ihm eine Art von Inhalt gab.
    Er hatte geglaubt, dass es mit Lennart und Laila besser gehen würde, aber auch ihre Gegenwart konnte er kaum ertragen. Hinter jedem

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