Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder
vielleicht empfand er es aber auch nicht als wichtig.
3
Im Alter von vier Jahren war es offensichtlich und verkündet, dass sie ein Papakind war. Nicht, dass sie auf Distanz zu Maria ging, aber in allen wichtigen Angelegenheiten wandte sie sich an Göran. Bei den Jungen war es andersherum. Maria fuhr die beiden zum Fußballtraining. Es war kein bewusster Entschluss gewesen, dass es so sein sollte, es hatte sich einfach so ergeben.
Maria wollte etwas unternehmen, während Göran vollkommen zufrieden war, wenn er still neben Teresa sitzen konnte, während sie malte oder bastelte. Wenn sie etwas fragte, dann antwortete er, wenn sie Hilfe brauchte, dann half er ihr, aber ohne großes Aufsehen.
Ihre große Leidenschaft bestand darin, Halsketten aus Plastikperlen zu basteln. Göran hatte sämtliche Perlenbestände im Spielzeugladen in Rimsta aufgekauft, in allen denkbaren Farben und Formen, er hatte das Personal sogar dazu bewegt, hinunter ins Lager zu gehen und ein paar aussortierte Kartons wieder auszugraben. Teresa besaß ein ganzes Regalmit mindestens sechzig kleinen Döschen, in das sie die Perlen nach einem System einsortiert hatte, das nur sie allein durchschaute. Manchmal konnte sie Tage darauf verwenden, das System zu ändern.
Die Perlen wurden auf bunte Fäden oder Angelschnur gezogen, und Teresa hatte durch geduldiges Üben gelernt, sogar die Knoten selbst zu binden. Die Produktion lief ununterbrochen, und das einzige Problem waren die Resultate.
Oma und Opa hatten etwas bekommen. Die andere Oma und der andere Opa hatten etwas bekommen. Verwandte und Freunde und die Verwandten der Freunde hatten etwas bekommen. Alle, die sich eine Halskette aus Plastikperlen halbwegs verdient hatten, waren mit einer beschenkt worden. Oder mit zwei. Görans Vater war der Einzige, der sie auch trug. Vermutlich tat er es in erster Linie, um Görans Mutter zu ärgern.
Aber es hätte einer Verwandtschaft von biblischen Ausmaßen bedurft, um eine ausreichende Nachfrage für das Angebot zu erzeugen. Teresa produzierte mindestens drei Halsketten pro Tag. Göran hatte jede Menge Reißzwecken über ihr Bett geheftet, um die Halsketten daran aufzuhängen. Die Wand war mittlerweile so gut wie voll.
An einem Mittwochnachmittag Mitte Oktober holte Göran seine Tochter wie gewohnt von der Tagesmutter ab. Sie packte wie gewohnt ihre Perlen und Fäden auf dem Küchentisch aus, und Göran setzte sich ihr gegenüber mit der gewohnten Abendzeitung. Teresa begann konzentriert einen Knoten in das eine Ende einer Angelschnur zu binden, damit die Perlen nicht hinunterkullerten. Dann wählte sie unter den Döschen aus, entschied sich und begann zu fädeln.
Nachdem Göran die Zeitung nach Neuigkeiten über die EU-Beschlüsse hinsichtlich des schwedischen Alkoholmonopols durchsucht und außer dem neuesten Elend vom Tunnelbau in Halland nichts gefunden hatte, ließ er die Zeitung sinken und schaute zu seiner Tochter hinüber. Sie schien sich für eine Halskette ganz in Rot, Gelb und Blau entschieden zuhaben. Mit zu einer Pinzette geformten Fingern pickte sie geschickt eine Perle nach der anderen aus den Döschen und zog sie auf den Faden, während sie geräuschvoll durch die Nase atmete.
»Mädchen?«
»Hm?«
»Könnte man nicht auch etwas anderes aus den Perlen machen als Halsketten? Du hast doch schon so viele.«
»Ich will viele haben.«
»Aber was willst du denn mit ihnen machen?«
Teresa hielt mit einer leuchtend gelben Perle zwischen den Fingerspitzen inne. Sie betrachtete Göran mit zusammengezogenen Augenbrauen. »Ich sammle sie doch.«
Sie schaute ihn weiter an, als wollte sie ihn dazu herausfordern, sie infrage zu stellen. Görans Blick wich auf die Zeitung aus, wo das Bild eines nichtssagenden Wasserlaufs zu sehen war. Vergiftetes Grundwasser. Tote Fische. Anwohner in Aufruhr.
»Papa?« Teresa musterte die gelbe Perle mit zusammengekniffenen Augen. »Warum gibt es Sachen?«
»Wie meinst du das?«
Die Falten zwischen Teresas Augenbrauen wurden tiefer, und ihre Miene verzog sich, als hätte sie Schmerzen. Sie holte ein paar Mal tief Luft durch die Nase, wie sie es immer tat, wenn sie sich konzentrierte. Dann sagte sie: »Wenn es diese Perle nicht gäbe, dann könnte ich sie ja auch nicht festhalten.«
»Nein.«
»Und wenn es mich nicht gäbe, dann wäre ja niemand da, der die Perle festhält.«
»Nein.«
Göran saß wie hypnotisiert da und starrte auf den leuchtend gelben Punkt zwischen den Fingerspitzen seiner Tochter. Der
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