Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder
richtig gestorben. Das hast du doch gesehen. Sie sind doch vollkommen kleingehackt worden.«
»Ja«, sagte Theres. »Aber sie sind nicht tot geworden.«
»Woher weißt du das?«
»Es ist kein Rauch gekommen.«
Jerry hatte sich darauf vorbereitet, einige Einwände aus dem Weg räumen zu müssen, bevor sie es endlich einsah, aber das hier kam so unerwartet, dass er nur erwidern konnte: »Was?«
»Es ist kein Rauch gekommen. Als sie die Köpfe kaputt gemacht haben.«
»Wovon redest du denn? Da kommt doch kein Rauch.«
»Doch. Da kommt ein bisschen Rauch. Rot.«
Theres hatte ungefähr denselben Ausdruck im Gesicht, den sie gezeigt hatte, als Jerry »Wenn du stirbst, dann schlage ich dich tot!« zu ihr gesagt hatte. Sie sah ungläubig und leicht amüsiert aus, als wäre sie davon überzeugt, dass Jerry sie an der Nase herumführte und die Wahrheit gleich ans Licht kommen würde. Da fiel bei Jerry der Groschen.
»Du meinst Blut«, sagte er. »Aber da ist doch die ganze Zeit jede Menge Blut geflossen.«
»Nein«, sagte Theres. »Hör auf, Jerry. Du weißt.«
»Nein, ich weiß nicht. Zufälligerweise habe ich noch nie jemanden getötet, sodass ich es nicht weiß.«
»Warum hast du niemanden getötet?«
Jerry wusste, wie gesagt, nicht genau, welche Reaktion er auf diesen Film erwartet hatte. Vielleicht Geschrei und Weinen und die Weigerung, weiter zuzuschauen, oder Faszination und neugierige Fragen. Oder Tränen. Mit dem hier hatte er jedenfalls nicht gerechnet. Voller Ironie sagte er: »Ich weiß nicht, es hat sich bislang wohl noch nicht die richtige Gelegenheit ergeben.«
Theres nickte mit ernster Miene. Dann sagte sie, als ob sie einem unwissenden Kind etwas erklären musste: »Blut kommt später. Erst Rauch. Ein bisschen nur. Rot. Aber dann ist er weg. Man kann nicht mehr finden. Aber das bisschen kriegt man. Das ist Liebe. Glaube ich.«
Es war etwas an ihrer Art zu sprechen. Mit der eintönigen, einschläfernden Stimme eines Börsenberichterstatters gab sie trockene Fakten bekannt, denen man nicht widersprechen konnte, und für einen Augenblick begann Jerry zu glauben, dass das, was sie sagte, die Wahrheit war. Dann verging eine Minute der Stille, und der Bann wurde gebrochen. Jerry schaute Theres an. Schweißtropfen traten unter ihrem Haaransatz hervor. Er schüttelte die Kissen und die Decke auf, sagte ihr, dass sie sich hinlegen und ausruhen solle. Als er sie gebettet hatte, setzte er sich auf die Sofakante.
»Schwesterchen«, sagte er. »Ich habe dich das schon einmal gefragt, aber jetzt frage ich noch einmal. Sagen wir mal, das ist so mit dem Rauch und diesen anderen Sachen, wenn jemand stirbt. Und sagen wir mal, dass ich auch so etwas habe. Willst du dir das dann auch nehmen?«
Theres schüttelte müde den Kopf, und Jerry stellte die Frage, die hierauf logisch folgte: »Und warum nicht?«
Theres’ Augen wurden trübe, und sie blinzelte ein paar Mal mit schweren Lidern, aber Jerry konnte sie nicht einschlafenlassen, bevor er eine Antwort bekommen hatte. Er schüttelte sie vorsichtig an der Schulter und sie sagte: »Ich weiß nicht. Es sagt stopp.«
Ihre Augenlider klappten herunter, und Jerry musste sich mit dieser Antwort begnügen. Er ging selbst zu Bett und versuchte, sich den gröbsten Schlamm aus den Gehirnwindungen zu schlafen, aber der Schlaf wollte nicht kommen. Nach einer halben Stunde war er wieder auf den Beinen, duschte sich kalt ab und ging hinaus, um Brei zu kaufen.
Irgendetwas musste sie schließlich essen.
Im Treppenhaus begegnete er seinem Nachbarn, Hirsfeldt. Ein älterer Herr, dessen korrekte Kleidung in großem Kontrast zu den Spuren des Alkoholkonsums in seinem Gesicht stand. Im grellen Morgenlicht, das vom Beton reflektiert wurde, stierte er Jerry aus zusammengekniffenen Augen an. »Hast du neuerdings einen … Mitbewohner?«, fragte er.
Jerry wurde ganz flau zumute. »Nee, warum?«
»Ich hör es doch«, sagte Hirsfeldt. »Dieses Haus ist so hellhörig. Ich höre doch, dass da jemand liegt und sich die Seele aus dem Leib kotzt, und das bist nicht du.«
»Es ist eine Freundin, die ein bisschen krank ist und deswegen ein paar Tage bei mir bleibt.«
»Das ist aber nett von dir«, sagte Hirsfeldt in einem Tonfall, der erkennen ließ, dass er Jerry kein Wort glaubte. Er lupfte seinen übertrieben eleganten Hut. »Mein herzliches Beileid, im Übrigen. Das war ja eine schreckliche Sache.«
»Ja. Danke«, sagte Jerry und eilte weiter die Treppe hinunter. Als er zwei
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