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Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen

Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen

Titel: Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elli H. Radinger
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und den Sinn des Lebens. Das alles hatte ich vermisst.
    Und jetzt diese Freiheit. Die Begegnung mit Tieren, die in meine innerste Seele blicken konnten, und mit gleichgesinnten Menschen, die meine Begeisterung teilten. Ich war zutiefst dankbar für das Leben, das ich nun führen durfte. Und mit der Zeit gewöhnte ich mich auch an die harte körperliche Arbeit, die im Alltag nötig war, und der Muskelkater ließ langsam nach. Täglich mussten die Tiere versorgt werden: Füttern, Wasser auffüllen, Gehege sauber machen, Heuballen verteilen.
    Eine der unangenehmsten Arbeiten war das Aufsammeln und Zerteilen von Rehen und Hirschen, die von Autos überfahren worden waren. Meist war es mitten in der Nacht, wenn wir Anrufe von Jägern oder der Polizei erhielten: »Wir haben Futter für euch.« Dann fuhren wir an den Unfallort, luden das Tier auf den Truck und zerteilten es später in handliche Stücke – eine Arbeit, bei der sich mir stets der Magen umdrehte.
     
    In Wolf Park lebten jedoch nicht nur Wölfe, sondern auch andere Tiere. Eine kleine Gruppe Schafe war Teil eines Forschungsprojektes über den Einsatz von Herdenschutzhunden gegen Wolfsangriffe. Daphne und Dieter, zwei Maremma-Hunde aus Europa, mussten dafür nicht extra trainiert werden, vielmehr war diese Rasse schon seit Jahrhunderten speziell für diese Arbeit gezüchtet worden. Die beiden Maremmas waren schon als Welpen zusammen mit den Schafen aufgewachsen. Sie betrachteten die Weide als ihr Territorium und die Herde als ihre Familie. Die beiden Hunde machten ihren Job gut, auch wenn sie niemals Gelegenheit hatten, sich wirklich gegen Wölfe durchsetzen zu müssen. Wann immer sich jemand den Schafen näherte, bliesen sie sich zu imposanter Größe auf und |38| bellten bedrohlich. Das allein würde ausreichen, um Eindringlinge von einer Schafherde fernzuhalten. Damals, als in Deutschland noch niemand an Wölfe, geschweige denn an einen Wolfsmanagementplan dachte, hatte Erich Klinghammer schon die Weitsicht besessen, zu untersuchen, wie Nutztiere vor Angreifern geschützt werden können.
    Auch zwei Füchse gehörten zum tierischen Inventar von Wolf Park. Sie waren einst von einer Pelztierfarm gerettet worden. Doch besonders faszinierte mich die kleine Bisonherde, die in Wolf Park lebte. Ein mächtiger Leitbulle namens Ben führte sie an. Sie schienen aus einem anderen Zeitalter zu stammen. Auf mich wirkten sie wie Außerirdische, die uns Erdenbürger eine Weile beobachteten, um dann wieder in ferne Galaxien zurückzukehren. Vielleicht war ihre Zeitlupenruhe und Gelassenheit auf ihrem Planeten eine Art Zeitraffer, oder umgekehrt.
    Oft stand ich am Zaun zu ihrer Weide und versuchte zu verstehen, was in ihnen vorging. Nach Zehntausenden von Jahren, die sie über die Prärien Nordamerikas gezogen waren, wussten diese Tiere vermutlich mehr, als wir nur ahnen konnten. Bisons sind Weidetiere, die viele Kilometer wandern, doch hier waren sie hinter einem starken Elektrozaun eingesperrt. Aus Versehen hatte ich einmal mit dem Kinn den Zaun berührt und minutenlang Sternchen gesehen. Ob sie sich nach der Prärie sehnten?
    Mit den Bisons demonstrierte Erich ein Mal wöchentlich den erstaunten Besuchern, dass Wölfe das Jagen nicht verlernen, auch wenn sie schon über mehrere Generationen in Gefangenschaft leben. In der Wildnis würden Wölfe auf der Jagd eine Bisonherde mehrmals umrunden, um eine Schwachstelle zu finden, wie beispielsweise ein neugeborenes Kälbchen oder ein krankes Tier. Nur ein solches Tier könnten sie töten. Ein gesundes, kräftiges Tier anzugreifen würde ein zu hohes Verletzungsrisiko bedeuten. Wölfe erkennen sehr schnell, ob sich eine Jagd lohnt. Dieses Jagdverhalten ist ein angeborener Instinkt, den die Wölfe auch in Gefangenschaft nicht verlernen. |39| Am Besuchersonntag wurden zwei oder drei Wölfe angeleint zu den großen Grasfressern geführt und dort freigelassen. Meist waren Vega und Chinook dabei, beides ausgezeichnete Jäger, die auch in ihrem Gehege gelegentlich einen vorwitzigen Vogel fingen. Leitwolf Imbo dagegen interessierte sich kaum für die Bisons. Einmal beobachtete ich sogar, wie ihn ein paar junge Bisons davonjagten. Im Allgemeinen verliefen diese sonntäglichen Begegnungen unspektakulär. Die Bisons kannten das Ritual. »Ist es schon wieder soweit?«, schienen sie zu fragen. Ruhig grasend warteten sie auf ihren Auftritt. Meine Sorge um sie war unbegründet. Oft war es nur ein kurzer »Showkampf«. Die Wölfe umkreisten die

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