Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen
war aber dennoch unsicher, ob dies der richtige Weg war. Ich hatte mehr Fragen in meinem Gepäck als Antworten.
Zu Hause angekommen, machte ich eine Bestandsaufnahme meines Leben. Mit meiner Labradorhündin Lady, die ich in Wolf Park sehr vermisst hatte, kuschelte ich mich mit einer Tasse Kaffee auf die Couch und dachte nach. Die Wölfe hatten mich in ihren Bann gezogen. Nachts träumte ich von ihnen und glaubte, ihr Heulen zu hören. Wie sollte es weitergehen?
Zunächst einmal brauchte ich Geld und einen Job. Meine |44| Anwaltszulassung hatte ich zurückgegeben. Jetzt suchte ich eine Tätigkeit, die mir möglichst viel persönliche Freiheit bot, aber auch genug finanzielle Möglichkeiten, um meinen Traum vom Leben mit wilden Wölfen zu verwirklichen. Ich könnte den Sommer über wieder als Stewardess arbeiten. Während ich noch überlegte, klingelte das Telefon. Ein Freund rief an und erzählte mir, dass ein deutsches Studienreiseunternehmen für den Sommer Reiseleiter für die USA suchte.
»Du kennst dich doch da aus«, sagte er. »Ruf doch mal an.«
Das tat ich, wurde zu einem Gespräch eingeladen und hatte innerhalb von zwei Wochen einen Job. Von nun an arbeitete ich im Sommer als Reiseleiterin in den USA und führte kleine Touristengruppen durch die Nationalparks. Meine Firma kümmerte sich um die Formalitäten wie Arbeitserlaubnis und Ähnliches. Der Spott blieb nicht aus.
»Was für ein Abstieg. Von der Anwältin zur Reiseleiterin«, machten sich einige Bekannte lustig.
»Du hättest so ein schönes Leben haben können«, bedauerte meine Familie zum wiederholten Mal.
Mir war das egal. Ich verdiente in diesem Job gutes Geld, bekam noch bessere Trinkgelder und durfte mich in den schönsten Gebieten Amerikas aufhalten. Dabei konnte ich auch noch Material für Reiseartikel sammeln, mit denen ich mir ein weiteres Zubrot verdiente. Was konnte an dem Job als Anwältin besser sein? Mein Arbeitsplatz war nun die Natur statt eines kleinen Büros oder eines muffigen Gerichtssaals. Die Menschen, mit denen ich jetzt zu tun hatte, freuten sich auf ihren Urlaub in den USA. Keine Mandanten, die ihre Frustrationen bei mir abluden. Zwar war der neue Job zeitlich begrenzt auf die Sommermonate, aber das reichte mir. Ich konnte mit sehr wenig Geld auskommen.
Nur um meine Hündin Lady machte ich mir Sorgen. Ich liebte sie und vermisste sie schmerzlich, wenn ich unterwegs war. Lady war Amerikanerin. Vor einigen Jahren hatte ich sie aus einem Tierheim in Norfolk, Virginia, vor dem sicheren Tod durch Vergasen gerettet. Bevor sie zu mir kam, blieb ich |45| bei jedem meiner Aufenthalte stets so lange in den USA, wie es mein Touristenvisum erlaubte, also meist bis zu einem halben Jahr. Jetzt wollte ich mich nicht mehr so lange von ihr trennen und flog darum kürzere Zeit, aber dafür öfter in die USA. Zum Glück fühlte sie sich auch bei meinen Eltern wohl und wurde dort so sehr verwöhnt, dass sich mein schlechtes Gewissen ein wenig beruhigte.
Während ich meinen ersten Sommer als Reiseleiterin begann, recherchierte ich, wo ich mehr über wilde Wölfe lernen könnte. Als sich die Saison dem Ende näherte, hatte ich erfahren, dass das »International Wolf Center« in Ely, Minnesota, Forschungsaufenthalte anbot. Dieser US-Staat war der einzige Ort außerhalb von Alaska, in dem eine Wolfspopulation von über zweitausend Wölfen lebte. Ich meldete mich zu einem solchen Forschungsaufenthalt an und war ein Jahr nach meinem ersten Wolfskuss auf dem Weg ins Land der wilden Wölfe.
|46| EINGETAUCHT
Wo sind die Wölfe? Angestrengt schaute ich aus dem Autofenster und versuchte, im undurchdringlichen Dickicht der Wälder eine Bewegung zu erspähen. Dabei kam der Mietwagen gefährlich ins Schlingern.
Nach einem langen Flug von Frankfurt über Detroit nach Minneapolis und einer fünfstündigen Autofahrt in den Norden drohten mir immer wieder die Augen zuzufallen. Aber die Aussicht, Wölfe zu sehen, ließ meinen Adrenalinspiegel dann doch in die Höhe schießen. Ich war aufgeregt. Im International Wolf Center sollte ich zusammen mit Amerikas bekanntesten Wolfsforschern in nur drei Wochen die Grundzüge von Ökologie, Verhalten von Wolf und Beutetieren sowie den Gebrauch und Einsatz der Telemetrieausrüstung erlernen. Während ich aus dem Fenster sah, musste ich über mich selbst lachen. Wie ein Bluthund folgte ich unbeirrt der Spur der Wölfe. Aber von denen hatte sich bisher noch keiner gezeigt.
Minnesota empfing mich Anfang Oktober mit
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