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Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen

Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen

Titel: Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elli H. Radinger
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oder Tiere im Allgemeinen – Gefühle, und wie weit darf die Forschung gehen? hat mich im Laufe meiner vielen Jahre der Wolfsbeobachtung begleitet und nie wirklich losgelassen. Heute wissen wir mehr über die Gefühle der Tiere. Die Forschung legt in vielen Bereichen neue ethische Maßstäbe an. Aber damals in Wolf Park fühlte ich mich sehr allein. Die Beschäftigung mit den Tieren hatte etwas in mir verändert. Ich versuchte, mich in sie hineinzuversetzen. Das löste ein wahres Gefühlschaos in mir aus.
    Wann immer ich von nun an nachts dem Gesang der Wölfe lauschte, dachte ich an den Wolf, den ich an jenem Abend gesehen hatte und wie er nach draußen schaute. Was würde ich denn tun, wenn ich entscheiden müsste zwischen einem satten, gut versorgten und langen Leben in Gefangenschaft und einem kargen kurzen Leben in Freiheit, fragte ich mich. Ich dachte an meinen Spruch über dem Schreibtisch zurück: Der Preis der Freiheit ist der Verzicht auf die Bequemlichkeit. |42| Auch ich hatte mich für ein freies, unabhängiges Leben entschieden. Verzichtete auf ein sicheres Einkommen und die damit zusammenhängende Rundumversorgung. Ich lebte am Existenzminimum, aber das machte mir nichts aus. Ich war zufrieden mit dem, was ich hatte. War dankbar für die Gelegenheiten, die sich mir boten.
    Meine Begegnungen mit den Tieren von Wolf Park hatten mich verändert. Die Wölfe, Kojoten, Füchse und Bisons lehrten mich, die Freiheit zu schätzen und zu lieben und die Tiere so zu akzeptieren, wie sie sind.
     
    Da stand ich nun und liebte ein Tier, ohne es in seinem Wesen einschränken zu wollen. Dieses Tier brachte mir keineswegs die bedingungslose anhängliche Liebe wie meine Hündin Lady entgegen, meine »Wolfsküsse« waren kein Zeichen von tiefer Zuneigung, sondern ein ritualisiertes Verhalten. Die Wölfe »liebten« mich nicht, sondern erlaubten mir huldvoll, einen kleinen Abschnitt ihres Lebens mit ihnen zu teilen. Ihre Zuneigung »bezahlte« ich mit Streicheleinheiten. Aber das machte mir nichts aus. Ich konnte sie so lieben, wie sie waren, ohne sie verändern zu wollen. Mir wurde der Unterschied zwischen einem »wilden« Tier und einem »Haustier« bewusst. Die Wolf-Park-Wölfe waren vielleicht zahm, weil sie seit vielen Generationen von Menschen aufgezogen und durch sie sozialisiert worden waren. Sie ließen sich streicheln und duldeten uns – in gewissem Rahmen und wenn es ihnen gefiel. Aber (domestizierte) Haushunde waren sie damit noch lange nicht. Es braucht Zehntausende Jahre selektiver Zucht, um aus einem Wolf ein Tier zu machen, das mit uns als Familienhund unter einem Dach leben kann.
    Der Aufenthalt in Wolf Park hinterließ jedoch auch einen bitteren Nachgeschmack. Ich erkannte, dass wir, die wir uns mit Gehegetieren befassten, sie versorgten und betreuten, auch gezwungen waren, sie zu »manipulieren«. Wir sperrten sie ein und regulierten ihr Paarungsverhalten und ihr Familienleben. Nahmen ihnen ihre Babys weg. Hinderten sie daran, ihre Nahrung |43| selbst zu jagen. Wir machten die Gehege sauber. Versorgten sie tierärztlich. Achteten darauf, dass es ihnen an nichts fehlte. Aber sie lebten (und starben) hinter Gittern. Sie konnten nicht ausweichen, wenn die Aggression innerhalb der Gruppe zu groß wurde. Konnten nicht abwandern, um sich einen Partner zu suchen und eine eigene Familie ihrer Wahl zu gründen. Sie waren und blieben »Forschungsobjekte« und zahlten den Preis, den alle Tiere in Gefangenschaft zahlen: den Verzicht auf ein natürliches, artgerechtes Leben.
    Von ihren Betreuern wurden sie abgöttisch geliebt. Für die Besucher waren sie ein Teil der Wildnis, die sie beobachten oder vielleicht sogar berühren konnten.
    Heute, nach fast zwanzig Jahren Beobachtung von freilebenden Wölfen, bin ich kaum noch in der Lage, einen Zoo zu besuchen. Ich ertrage es einfach nicht mehr, das erloschene Feuer in den Augen eines gefangenen Tieres zu sehen. Ob die Tiere um ihre Gefangenschaft »wissen«, darüber streiten sich noch die Experten. Unbestritten ist jedoch, dass Tiere Gefühle haben. Immer mehr Forscher sprechen inzwischen auch von der Seele eines Tieres. Dann aber stellt sich die Frage, ob wir Tiere, die in einem engen sozialen Familienverband leben, in einem von Menschen geschaffenen Umfeld einsperren dürfen.
    Als ich Wolf Park nach drei Monaten Praktikum verließ, um wieder nach Deutschland zurückzufliegen, war ich hin und her gerissen. Ich hatte den Aufenthalt und die Nähe der Wölfe genossen,

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