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Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen

Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen

Titel: Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elli H. Radinger
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Bisons ein oder zwei Mal und suchten nach einem Angriffspunkt. Vergeblich. Die Tiere waren allesamt gesund und kräftig. Keine Chance für die Wölfe. Sie trollten sich.
    »Der Wolf ist ein Opportunist«, erklärte Erich den überraschten Besuchern. Wahrscheinlich hatten manche ein blutiges Spektakel erwartet.
    »Er ist wie ein Straßenräuber, der sich für seinen Taschenraub alte Leute aussucht. Wenn es für die Wölfe eine Gelegenheit gibt, ein Tier zu töten, dann nutzen sie sie. Aber ein gesunder Bison ist schwer anzugreifen. Unsere Wolf-Bison-Vorführungen verursachen keinen Stress bei den Tieren. Aber sie geben Rinderzüchtern wichtige Informationen darüber, wie sie ihre Kälber vor Raubtieren schützen können.«
    Nur einmal hatte es so ausgesehen, als würden die Wölfe Erfolg haben. »Fast eine halbe Stunde lang umkreisten sie einen Bison und versuchten immer wieder, ihn anzugreifen«, erzählte Erich. »Erst als das Tier eine Woche später eine Lungenentzündung bekam, wussten wir, dass die Wölfe seine Schwäche schon viel früher gemerkt hatten.«
    Es war bemerkenswert. Diese Wölfe hier lebten seit Generationen in Gefangenschaft. Sie hatten nie das Donnern von Hunderten Bisonhufen in der Prärie gehört, nie die Geburt eines Bisonkalbes beobachtet. Nie waren sie durch eine Herde grasender Büffel gelaufen. Dennoch benahmen sie sich wie ihre |40| freilebenden Verwandten und suchten eine Schwachstelle, um anzugreifen. Dass unsere Hunde diese Eigenschaften nicht mehr besitzen, haben wir einer Tausende Jahre währenden selektiven Zuchtauswahl zu verdanken.
     
    Ich hatte in Wolf Park einen besonderen Freund gefunden – den Kojoten »Wild Bill«. Jeden Morgen besuchte ich ihn, um mich mit ihm zu »unterhalten«. Bill war allein in seinem Gehege und schien sich über Gesellschaft zu freuen. Er brachte mir bei, wie ein Kojote zu heulen. Noch heute kann ich besser Kojotenheulen imitieren als Wolfsheulen. Schreiend, kreischend, jaulend, hell jubilierend, klingt das Heulen von Kojoten so ganz anders als das von Wölfen, das tief aus den Eingeweiden aufzusteigen scheint. So sangen wir morgens gemeinsam unser Lied zum Sonnenaufgang. Manchmal antworteten seine wilden Freunde aus der Ferne. Dann schaute er regungslos mit großen Augen hinüber. Die Ohren spielten hin und her. Sein Anblick und seine deutlich spürbare Sehnsucht berührten mein Herz.
    Ab und zu durfte ich ihn auch im Gehege besuchen. Meist ließ er sich streicheln. War er schlecht gelaunt, durfte ich ihn zwar auch streicheln, seine persönliche Rache folgte jedoch sofort: Er hob das Bein und pinkelte mir auf die Füße. Recht hatte er! Was drängte ich ihm auch meine Zuneigung auf. In dem engen Gehege gab es kein Entrinnen vor zudringlichen Menschenhänden. Der kleine Kojote zeigte der Welt seinen Protest auf seine Art.
    Mit dem Training der Achtsamkeit wuchs auch meine seelische Empfindsamkeit. Als ich eines Abends meine letzte Runde durch den Park drehte, sah ich einen der Wölfe still auf die Wälder hinter dem Zaun starren. Was er wohl dachte? Fühlte er, dass da draußen »mehr« war? In Gefangenschaft geboren, hatte er nie die Freiheit kennengelernt. Vermisste er sie trotzdem? Eine tiefe Traurigkeit schien ihn zu umgeben. War es richtig, was wir taten?
    Erich verstand meine Bedenken nicht. »Den Wölfen geht |41| es gut. Besser als in der Wildnis. Sie werden gefüttert und haben ein bequemes Leben. Sie kennen den Unterschied zwischen Freiheit und Gefangenschaft nicht.«
    Warum beruhigte mich das nicht? Ich glaubte ihm nicht. War verwirrt. Eigentlich sollte ich »wissenschaftlich« denken und Gefühle aus dem Spiel lassen. Studenten der Verhaltensforschung wird früh eingebläut, auf Tiere keine menschlichen Gefühle zu projizieren. »Anthropomorphismus« lautet die Bezeichnung der Fachleute für das, was ich tat. Nur mit emotionalem Abstand, so ihre Überzeugung, könne man das Verhalten der Tiere wirklich beschreiben. Der größte Fehler sei es, Tieren menschliche Eigenschaften zuzuschreiben oder bestimmte Verhaltensweisen mit menschlichen Beweggründen erklären zu wollen. Vermutlich war ich also im wissenschaftlichen Bereich ein Versager. Aber meine Empfindungen, die ich bei seinem Anblick spürte, schienen real zu sein. Ich
fühlte,
dass er traurig war. War ich zu sensibel? Ich war noch neu in der Verhaltensforschung. Durfte ich da schon alle Regeln über Bord werfen? Ich wurde belächelt und war verunsichert. Die Frage: Haben Wölfe –

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