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Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen

Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen

Titel: Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elli H. Radinger
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Ernsthaftigkeit umgab sie. So ganz anders als im Frühling, wenn sie übermütig galoppieren und hüpfen.
    Im Winter wird die Welt auf ihre Grundelemente reduziert. Und dennoch produziert sie verzaubernde wunderschöne Dinge im Übermaß. Der Schnee formte wilde und grazile Verwehungen, manche mit scharfen Kanten, andere mit weichen Kurven. Schneehügel erhoben sich über Felsen und Grasbüschel.
    An diesem klaren Morgen produzierte die Luft etwas, das die |84| Nivologen, die Schneewissenschaftler, »Diamantenstaub« nennen: winzige Eiskristalle, die in der Luft stehen oder tanzen.
    Besonders magische Formationen erlebt man in Yellowstone in der Nähe von Geysiren oder heißen Quellen. Dort, wo die warme Luft aufsteigt, bilden sich Eiskristalle auf allem, was in ihrem Weg liegt. Kleinste Gebilde, die aussehen wie winzige Bäume oder strammstehende Soldaten.
    In meiner Verzauberung und unter den Strahlen der immer wärmer werdenden Sonne war ich eingenickt. Etwas weckte mich. Ich hatte das Gefühl, beobachtet zu werden. Ein kleiner Kojote stand nur wenige Meter von mir entfernt und versuchte, mit schief gelegtem Kopf herauszufinden, was dieses Etwas da am Baum war. Wunderschön sah er aus mit seinem dichten, graubraunen Fell. Kleine Eiskristalle saßen an den Barthaaren und den Spitzen seiner Ohren. Als ich mich bewegte, drehte er sich um und ging. Einfach so. Zwei Mal drehte er sich noch nach mir um, bevor er hinter einem Hügel verschwand.
    Um Augenblicke wie diesen zu erleben, war ich hier. Suchte ich immer wieder die Einsamkeit. Mein Leben in Deutschland ist voller Hektik. E-Mails. Anrufe. Abgabetermine für Artikel und Bücher. Vorträge und Lesungen. Steuererklärungen. Treffen mit Freunden und Familie. Selten komme ich zur Ruhe. Trotzdem versuche ich auch dort, mir ab und zu eine kleine Auszeit zu nehmen, und wenn es nur eine ein- oder mehrtägige Wanderung mit meiner Lady ist.
    Aber die Stille und Einsamkeit, die ich in Yellowstone finde, sind für mich ein ganz besonderes Geschenk. Aus ihr hole ich mir Kraft. Von ihr lerne ich Durchhaltevermögen und die Weisheit der Zyklen der Natur. Lerne, dass alles seine Zeit hat. Hier kann ich erkennen, wo mein Platz in der Welt ist.
     
    Mir wurde kalt. Es war Zeit, aufzubrechen. Ich warf noch einen letzten Blick zurück und machte mich daran, den Berg hinunterzustapfen. Ich fuhr zum Frühstück nach Cooke City. Im Winter ist dieser Ort von der Außenwelt abgeschnitten. Die einzige für den Autoverkehr offene Straße führt durch |85| den Nationalpark. Am Ortsausgang von Cooke City ist sie für Autos gesperrt. Von dort aus geht es nur noch mit Schneemobilen oder Langlaufski weiter. Im Sommer beginnen hier zwei der schönsten Highways Amerikas, wenn nicht sogar der Welt: der Chief Joseph Highway nach Cody, Wyoming, und der Beartooth Highway nach Red Lodge, Montana. Diese Highways sind jedoch nur an drei bis vier Monaten im Jahr schneefrei.
    Das Krankenhaus, der nächste Lebensmittelladen, alle sind mindestens drei Autostunden entfernt. Einer Freundin von mir, die hier lebte, musste eine Krankenschwester den vereiterten Blinddarm auf dem Küchentisch herausoperieren, sonst wäre sie gestorben. In der kleinen Blockhausschule mit nur einem Klassenzimmer werden vier Jahrgänge unterrichtet. Wer ältere Kinder hat, muss umziehen oder sich nach einem Internat umschauen. Die meisten Familien gehen fort. Nur wenige bleiben.
    Trotz – oder gerade wegen – dieser Isolation sind die Preise für Baugrundstücke oder Häuser hier fast unerschwinglich. Die wenigen neuen Häuser, die gebaut werden, verstecken sich weit abseits im Hinterland. Ausgewaschene Schlammstraßen machen sie im Sommer nur für Quads und im Winter für Schneemobile erreichbar.
    Cooke City übt sich in rustikalem Understatement. Entlang der einzigen Hauptstraße liegen zwei Tankstellen, die Soda Butte Lodge, die auch schon bessere Zeiten gesehen hat, zwei Saloons und einige schon seit Jahren verlassene und langsam zusammenfallende Häuser. Das neueste Prunkstück, das für heftigen Streit innerhalb der hiesigen Bevölkerung gesorgt hat, ist ein dreigeschossiges Gebäude einer großen US-Hotelkette, das den beiden überteuerten Motels die wenigen Gäste wegnimmt. In einem Blockhaus-Bistro wird gutes Essen serviert, allerdings nur wenn der Koch in Stimmung ist. Und »Buns & Beds« bietet fettige, sehr schmackhafte Bison-Burger und ein scharfes Chili auf Styropor-Geschirr sowie den obligatorischen dünnen Kaffee in

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