Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen
folgt.
Nun war wieder Warten angesagt. Warten und Ausschau halten. Das ist es, was den Alltag eines Wolfsbeobachters ausmacht. Aber es gab ja nicht nur Wölfe zu sehen. Das Lamar Valley gilt als die »Serengeti Nordamerikas«. Hier leben alle großen Beutegreifer und ihre Beutetiere. Im Winter sehen wir neben den Wölfen und Kojoten eben auch Elche, Bisons, Wapitis und zahlreiche Greifvögel.
»Sie sind wieder da. Auf Jasper Bench«, rief jemand. Auf der anderen Seite des Tals erhebt sich ein Hochplateau. Dort waren die Wölfe aufgetaucht. Offensichtlich hatten sie die Spur, der sie folgten, verloren, denn jetzt liefen sie nicht mehr in einer Reihe, sondern in loser Gruppe. Keiner von ihnen warf auch nur einen Blick auf die kleine Gruppe Hirsche, die sich ängstlich in der Nähe zusammengerottet hatte. Während sich die Leitwölfe jetzt eng beieinander im Schnee zusammenrollten, nutzten die Jungtiere ihre überschüssige Energie für Spiele. Nachlaufen und Verstecken waren angesagt. Einige tauchten hinter hohen Schneewehen unter und warteten darauf, dass sie die anderen aufspürten. Hatten sie sie entdeckt, sprangen sie aus der Deckung und rannten los, dicht gefolgt von ihren Spielgefährten.
Zwei der erwachsenen Wölfe, die erst zugeschaut hatten, ließen sich anstecken. Sie rannten mit, sprangen über die Jungtiere hinweg oder rempelten sie um. Dann fing ein neues Spiel an. Einer der Wölfe hatte eine abschüssige Schneerampe entdeckt. |89| Er warf sich darauf und ließ sich auf dem Rücken hinuntergleiten. Der Wolf fuhr Schlitten! Die anderen taten es ihm nach. Immer wieder rannten die Wölfe nach oben zum Hügel und rutschten ihn herunter.
Ich erinnerte mich an eine Behauptung, die ich in Wolf Park gehört hatte: »Tiere spielen nicht. Alles, was sie tun, ist Vorbereitung auf das Leben.«
Spiel dient dem körperlichen Training und der Verbesserung von sozialen Beziehungen. Das hier aber schien einfach nur reine Freude am »Rutschvergnügen« zu sein, unabhängig vom Alter der Wölfe.
Wir waren entzückt.
»Wie Hunde«, rief Carol.
Mit einem leichten Stich wurde ich an die Trennung von Lady erinnert. Ich vermisste sie. Auch wenn es ihr gutging, so fehlte sie mir doch sehr. Das war stets der einzige Wermutstropfen bei meinen Reisen. Ich konnte sie nicht dabei haben. Hunde können sich in amerikanischen Nationalparks nur eingeschränkt bewegen. Sie dürfen nur an der Leine und nur entlang der Autostraßen laufen. Wanderungen abseits der Straße sind nicht erlaubt. Und das Tier bei der Kälte den ganzen Tag im Auto zu lassen ging auch nicht. Also musste ich meine Hündin schweren Herzens zu Hause lassen, wenn ich auf Wolfstour ging.
Die Wölfe waren inzwischen müde geworden und hatten sich alle eng zusammengekuschelt. Sie schliefen. Wir wussten, von nun an würden wir eine ganze Weile schlafende Wölfe beobachten.
Gelegentlich führe ich für einen oder mehrere Tage in Yellowstone als Guide deutsche Touristen, die einmal Wölfe sehen wollen. Ich zeige ihnen die Plätze, an denen sich die Wölfe am liebsten aufhalten. Erkläre die Charakteristiken der einzelnen Wolfspersönlichkeiten und die Struktur der Wolfsfamilien. Gebe Tipps, worauf man bei der Wolfsbeobachtung achten muss.
Beim Vorbereitungsgespräch fällt dann irgendwann die Frage: »Was brauche ich denn noch für die Beobachtung?«
|90| Eigentlich ist die Ausrüstung gemeint. Aber die ist meist zweitrangig, denn zumindest die technische Ausrüstung wird von mir gestellt. Die wichtigste Eigenschaft, die jeder mitbringen muss, der Wildtiere beobachten will, ist Geduld. Warten können. Den Willen, stundenlang auch schlafende Wölfe zu beobachten. Meine Slough-Wölfe waren ein gutes Beispiel dafür. Sie hielten für den Rest des Tages Siesta.
Als die Sonne unterging, packte ich die Ausrüstung ein und machte mich auf den Weg nach Hause. Diesmal hatte ich eine Cabin in Gardiner, am Nordeingang des Parks, gemietet. Es war stets eine lange Fahrt dorthin: zwei bis drei Stunden, je nachdem, wie viele Bisons auf der Straße standen. Ich ließ mir Zeit. Als es ganz dunkel war und kein Licht mehr den Horizont erhellte, fuhr ich in eine Parkbucht und stellte den Motor ab. Ich stieg aus und zog meine warme Jacke an. Dann lehnte ich mich an das Auto und schaute in den Himmel. Yellowstone ist nicht nur Anziehungspunkt für Tierbeobachter oder Geysir-Fans, sondern auch für Astronomen. Da in und um den Park nachts jede weitere Lichtquelle fehlt und keine
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