Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen
von uns Helfern sind von unschätzbarem Wert für das Wolfsprojekt, das – wie jedes staatliche Projekt – unter chronischem Geldmangel leidet.
»Unit 21, this is 39«, riss mich der Funkspruch aus meinen Gedanken. Carol und Mark waren auf dem Weg.
»Kommt schnell her!«, meldete ich mich. Ich hatte gerade eine Bewegung auf der Ebene vor mir bemerkt. Ich brachte das Spektiv in Position und sah Wolf 480 am Ufer des Soda Butte Creek entlangtrotten. Innerhalb weniger Minuten füllte sich die große Parkbucht. Autos trafen im Sekundentakt ein. Viele Touristen in Yellowstone besitzen Scanner, mit denen sie unseren Funkverkehr abhören können. Unser kurzes Gespräch hatte sie alarmiert.
Ich meldete meine Sichtung an »Unit One«. Unterdessen lief der Wolf unbeirrt von der Aufregung durch das Tal. Er erschreckte ein paar Hirsche, die mit den Hufen den Schnee freikratzten, um das spärliche Gras abzurupfen. Dann blieb |82| er stehen, hob den Kopf und heulte. Sein Atem bildete eine Raureifwolke in der kalten Morgenluft. Der Ton kam zeitverzögert aus der Ferne. Keine Antwort. Erst beim dritten Heulen erhoben sich leise Stimmen hoch oben in den Bergen. Die Wölfe antworteten dem Chef. Der drehte schnell ab und verschwand im Wald. Die Familie hatte gerufen.
Wir entspannten uns wieder. Ich packte die Thermoskanne mit heißem Kaffee aus und gönnte mir ein erstes Frühstück auf der Motorhaube des Autos. Schnell schrieb ich das Erlebte in mein Notizbuch. Ich wollte nichts vergessen. Eine Rückfrage bei Rick ergab, dass er keine weiteren Signale empfangen hatte.
Der Morgen war zu schön, um nur herumzustehen. Ich entschloss mich zu einer Schneeschuhwanderung zum Trout Lake, einem kleinen See, der versteckt in den Bergen im nordöstlichen Teil des Soda Butte Valley liegt.
Ich fuhr zum Ende des Tals, stellte das Auto ab, schnallte die Schneeschuhe an und zog den Rucksack auf. Das Fernglas und das Funkgerät nahm ich ebenfalls mit. Dann kraxelte ich den ersten Kilometer steil bergauf. Trotz meiner Schneeschuhe versank ich stellenweise bis zu den Knien im Schnee. Schwer atmend erreichte ich den zugefrorenen See. Die körperliche Anstrengung in einer Höhe von zweitausendfünfhundert Metern machte mir zu schaffen. Ich suchte eine schneefreie Stelle unter einem Baum, holte mein kleines aufblasbares Sitzkissen hervor und machte es mir bequem. Den Rücken an den Stamm gelehnt, einen Becher mit heißem Kaffee in der Hand, das Tagebuch auf den Knien. Um mich herum nichts als weiße Einsamkeit. Augenblicke wie diese sind stets meine kostbarsten Momente.
Wir alle suchen Orte, die uns guttun und die uns zeigen, was wichtig ist. Orte, die unsere Kreativität inspirieren und uns mit dem Universum verbinden. Ein solcher Ort war für mich Trout Lake. Hier konnte ich den Winter mit allen Sinnen wahrnehmen. Für mich ist er die schönste Jahreszeit.
Ich bin ein Winterkind. Geboren im Februar, liebe ich die |83| Kälte. Hawaii oder die Seychellen haben mich nie gereizt. Lieber mache ich Urlaub in Alaska – möglichst in den langen, dunklen Monaten, wenn das Nordlicht am Himmel tanzt.
Yellowstone ist besonders im Winter für Wolfsbeobachtungen interessant. Die Wölfe tragen ihr schönstes Fell und sind voller Energie und Tatendrang. Es ist Paarungszeit. Die Hormone tanzen Tango. Die Luft knistert vor Spannung. Nur wenige Besucher sind zu sehen. Die meisten scheuen die extremen Temperaturen von minus dreißig Grad. Die Einsamkeit ist überwältigend. Aber am magischsten ist die Stille. In ihr liegen Kraft, Macht, Ausdauer und Geduld. Wenn ich in Yellowstone bin, ziehe ich mich oft zurück, um sie bewusst zu erleben. So wie jetzt bei meiner Schneeschuhwanderung. Auch diesmal war sie allumfassend und so gewaltig, dass ich anfing, die wenigen Laute klar und scharf zu hören. Den Flügelschlag eines Raben über mir. Das Heulen der Wölfe auf dem gegenüberliegenden Berg. Das Yippen und Kreischen der Kojoten einige Kilometer entfernt. Das Seufzen und Knacken der Kiefern, wenn der Wind auf sie traf. Den Schneeklumpen, der vom Baum an meinem Ohr vorbeiflog. Und als ich den Atem anhielt, hörte ich mein eigenes Herz schlagen. Wo in dieser hektischen Welt gab es noch solche Orte?
Nur wenige Tiere waren hier oben am See. Ein paar Bisons zogen ruhig ihre Bahn. Schaufelten mit den mächtigen Köpfen den Schnee beiseite, um zu fressen. Sie sparten Energie und bewegten sich langsam. Selbst das Stehen in der Kälte kostete schon Kraft. Eine stille
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