Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen
Großstadt in der Nähe ist, kommen Sternengucker aus aller Welt, um den Nachthimmel zu bewundern.
Die Winternächte sind so kalt und trocken, dass die Sterne beinahe in Reichweite scheinen. Über mir erstreckte sich ein Baldachin aus kosmischen Diamanten. Die Milchstraße war deutlich zu erkennen. Und dann sah ich sie: die ISS (Internationale Raumstation). Von der Sonne auf der anderen Erdseite angestrahlt, glänzte sie silbern und zog schnell ihre Bahn über den Himmel. Ich schaute und schaute. Hier unter dem Sternenzelt fühlte ich mich als Teil eines Ganzen, als Teil der Erde, des Sonnensystems. Ich
war
das Ganze.
Erst als ich das Zähneklappern und Zittern nicht mehr kontrollieren konnte, riss ich mich von dem Anblick los und stieg in mein Auto. Das Thermometer war bei minus fünfunddreißig Grad stehen geblieben. Ein ganz normaler Winter-Wolfsbeobachtungstag.
|91| HEIMAT UND FAMILIE
Im Februar 2003 war ich erneut auf dem Weg nach Yellowstone. Diesmal flog ich in ein Land, das sich auf den Krieg vorbereitete. Am Flughafen in Atlanta warteten viele Soldaten in Uniform. Sie waren auf dem Weg in den Irak. Ich schaute in die Gesichter dieser jungen Menschen und fragte mich, wie viele von ihnen wohl nach ihrem Einsatz wieder nach Hause zurückkehren würden.
Die Stimmung in den USA hatte sich verändert. Im Supermarkt in Bozeman kauften die Menschen Isolierbänder und Plastikplanen. Die Medien hatten ihnen geraten, Fenster und Türen abzudichten und sich so gegen eine Atombombe oder biologische Waffen zu schützen. Im Fernsehen überschlugen sich die Nachrichtensender mit Horrormeldungen über mögliche Massenvernichtungswaffen und Terrorangriffe. Es herrschte ein Klima der Angst. Die Menschen schienen allen Ernstes zu glauben, dass ein kriegerischer Angriff ihre einzige Rettung vor einem neuen Terrorakt wie 9/11 sei.
Ich habe als Deutsche das Glück, in einem Land aufgewachsen zu sein, wo man in Frieden lebt, in dem fast jeder ein Dach über dem Kopf hat und keinen Hunger leiden muss und in dem jeder seine Meinung sagen darf. Zeiten wie diese, die ich jetzt in Amerika erlebte, machten mir das wieder bewusst.
Ich war gespannt, wie meine amerikanischen Freunde mit der neuen Situation umgehen würden. Auch im Lamar Valley war der bevorstehende Krieg natürlich das vorherrschende Thema bei den Unterhaltungen. Die meisten der Wolfsleute sind politisch interessiert und sehen sich selbst eher als Liberale (von den Republikanern oft abschätzig als »Treehugger« bezeichnet).
|92| Bob Wiltermood zum Beispiel besitzt eine Firma im Staat Washington, die sich für den Schutz von Feuchtgebieten einsetzt und Organisationen bei der Renaturierung solcher Gebiete berät. Bob hat sieben Angestellte und verbringt die wenige freie Zeit, die er sich erkämpfen kann, in Yellowstone. Mit zwei Notebooks hält der achtundsechzigjährige Manager mithilfe eines kleinen Satelliten auch in der Wildnis Kontakt zu seiner Firma.
Als er mich kommen sah, stürzte er auf mich zu und drückte mich so fest an sich, dass mir die Luft wegblieb.
»Ich liebe euch Germans«, rief er immer wieder. »Endlich einmal jemand, der den Idioten in Washington die Zähne zeigt. Dieser Krieg ist ein Wahnsinn!«
So erfuhr ich in Yellowstone, dass die deutsche Regierung die Entsendung von Bundeswehrsoldaten in den Irak abgelehnt hatte und von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung in dieser Haltung bestärkt wurde. Ich war mächtig stolz auf mein Land.
An diesem Nachmittag erlebten wir, dass auch in der Welt der Wölfe nicht alles eitel Sonnenschein war. Eine lange schwelende Familienfehde zwischen den Druids und den Sloughs brach aus. Beide Wolfsfamilien hatten schon immer ein Lieblingsrevier im Auge: das Lamar Valley. Viele Jahre war es das Heimatterritorium der Druids. Sie waren hier geboren, ebenso wie ihre Eltern. In ihren Glanzzeiten, wenn sie mit siebenunddreißig Wölfen durch das Tal zogen, schienen die anderen Tiere den Atem anzuhalten. Dann aber spielte das Schicksal mit anderen Karten. Die Druids verloren ihre Welpen durch Krankheiten, und die Sloughs fingen an, sich im Lamar Valley auszubreiten und die Druids aus ihrer Heimat zu vertreiben. Zwei Jahre später war die Zeit für einen Machtwechsel gekommen.
Ich stand mit meinen Freunden im Lamar Valley, genau zwischen den beiden Wolfsfamilien. Wir waren auf einen Hügel geklettert und hatten so einen guten Überblick über das |93| Tal. Achtzehn Slough-Wölfe fraßen an einem Kadaver und
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